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Nachwuchs aus der PeripherieKonzentrierte Künstler

In Kiel ist eine Szene junger, zielbewusster KünstlerInnen entstanden. Einer von ihnen ist der Brockmann-Preisträger Benjamin Mastaglio.

Sog der Linien, Flächen und Dreiecke: Benjamin Mastaglios Ölgemälde hat keinen Titel (Ausschnitt) Bild: Helmut Kunde

HAMBURG taz | Benjamin Mastaglio trägt eine schwarze Zimmermannshose, dazu eine ebenso schwarze Jacke mit vielen aufgesetzten Taschen sowie darunter einen dichtgewebten Troyer, der gewiss gut gegen den in Kiel immer wieder von der Förde herüberwehenden Nieselregen schützt. Wenn er so vor einem steht, kann man in ihm einen zupackenden Handwerker vermuten.

Benjamin Mastaglio sagt: „Früher habe ich mit Lackfarben gearbeitet, die ich jetzt gegen Ölfarben ausgetauscht habe und so kommt es nun zu einer sehr viel farbintensiveren Qualität im Bild.“ Er zeigt auf eines seiner raumgreifenden Bilder, die derzeit in der Kieler Stadtgalerie zu sehen sind und sagt: „Was mich als Maler interessiert, ist, inwieweit sich bestimmte Flächen gar nicht mehr durch eine Naht voneinander absetzen, sondern ineinander übergehen können; das sind Prozesse, die über Jahre im Atelier mit untersucht werden.“

Die entsprechenden, allesamt titellosen Bilder hängen sehr zentral im Mittelteil der Stadtgalerie, was seinen guten Grund hat: Benjamin Mastaglio ist frischer Träger des Gottfried Brockmann Preises, der alle zwei Jahre vergeben wird und der mit einem Preisgeld von 5.000 Euro grundiert ist. Ein Preis, zu Ehren des Kieler Malers und späteren Kulturreferenten Gottfried Brockmann (1903 bis 1983) so genannt, der ausschließlich in Kiel lebenden KünstlerInnen vorbehalten ist, so sie denn das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Mastaglios Bilder stemmen sich auf eine großartige Weise gegen den schnellen Blick und das fixe Urteil: Mal kurz gucken, nicken und „Aha“ sagen, das geht nicht. Besser sollte man sich Zeit nehmen, dem Zusammenspiel der Linien, Flächen und der fallenden Dreiecke folgen, zwischendurch weggehen, dann wiederkommen. Dafür wird man mit einer wachsenden Klarheit im Blick belohnt werden.

Der Wunsch, Kunst zu studieren, war bei Mastaglio früh angelegt: „Ich komme aus einer Familie, in der es in den verschiedenen Generationen immer wieder Maler gab. Ich bin also mit Bildern aufgewachsen“, erzählt er. Schnell war auch entschieden, dass es die abstrakte Malerei sein soll und nicht die figürliche: „Mich hat es nie interessiert, mittels der figürlichen Malerei etwas zu erzählen oder zu illustrieren. Mich hat interessiert, zu welchen Ergebnissen freie Kompositionen abstrakter Malerei fähig sind.“

Sein bislang größter Coup: Die Gestaltung der Innenfassade der Landesvertretung von Schleswig-Holstein in Berlin. Zugleich bedeutete dieser Auftrag den Abschluss seiner bisherigen, alleinigen Beschäftigung mit strengen Gitterstrukturen, mit Linien und Quadraten und den Beginn seiner Hinwendung zu freien, manchmal organisch anmutenden Formen.

Zweimal war Mastaglio in den vergangenen Jahren bereits im Kontext des Brockmann Preises zu sehen, denn die Preisträger-Ermittlung funktioniert folgendermaßen: Die siebenköpfige Jury schaut sich gut ein Jahr in der Kieler Kunstszene um, streift durch Ateliers und Ausstellungen, lädt am Ende ungefähr 15 KünstlerInnen zu einer Gruppenausstellung in die Stadtgalerie ein und bestimmt aus dessen Mitte den Preisträger.

Wer einmal zur Gruppenausstellung eingeladen worden ist, darf damit rechnen, dass seine dann neueren Arbeiten zwei Jahre später beim nächsten Durchgang mit einem gewissen Vorinteresse begutachtet werden. Und manchmal klappt es dann eben beim dritten Anlauf.

Stadtgalerie-Direktor Wolfgang Zeigerer ist angetan von der Vielfalt künstlerischer Positionen, die die Arbeiten des aktuellen Preisträgers wortwörtlich umgeben: „Es mag an der Zeit liegen, aber vermutlich liegt es eher daran, dass unsere Kieler Kunsthochschule in den letzten Jahren ihre Ausbildung sehr verbessert hat: Die jungen Leute denken heute mehr über das nach, was sie da machen.“

Er konstatiert, dass die eingeladenen Vertreter der jungen Kieler Kunstszene an Profil gewonnen haben: „Hinter eigentlich allen Arbeiten stehen mittlerweile Konzepte, denen die Künstler recht konzentriert folgen. Die Kunst kommt nicht mehr wie früher so eruptiv aus dem Bauch heraus und bricht dann künstlerisch gesehen oft bald oft ab.“

Das gilt etwa für die wandfüllende Installation „Windows Vista“ des Südkoreaners Jimok Choi, die er in der Tradition der Petersburger Hängung präsentiert: Er hat sich beim Trödler mit allerlei klassisch-kleinbürgerlichen Ölschinken eingedeckt, die idyllisch-kitschige Landschaften oder schnöde Stillleben zeigen, hat sie zersägt, dann neu zusammengesetzt.

Jimok Choi hat sich in den letzten Jahren auch einen Namen als Performer gemacht: „Er ist heute das, was einmal Raffael Rheinsberg für Kiel war, und wenn er in der Stadt bleiben sollte, wird man in Kiel noch viel von ihm hören“, sagt Zeigerer.

Einen zunächst weiten Weg hinter sich hat auch Maxim Brandt, der 2008 die Ukraine verließ, um ebenfalls an der Muthesius Kunsthochschule Freie Kunst zu studieren. Seine erzählerischen Bilder wirken wie malerische Umsetzungen der Kurzgeschichten des postdadaistischen Russen Daniel Charms.

Und noch etwas Gutes ist aus Kiel zu vermelden: Der Trend, die Stadt nach absolviertem Studienabschluss möglichst schnell zu verlassen und nach Hamburg, meist aber nach Berlin zu wechseln, hat sich deutlich abgeschwächt. Auch Benjamin Mastaglio sieht derzeit keinen Grund, Kiel den Rücken zu kehren. „Ich habe hier die Möglichkeit, in Ruhe zu arbeiten. Ich brauche nicht jeden Abend eine Vernissage oder Party, deren eigentliche Funktion auf Anwesenheit beruht“, sagt er. Er hat überhaupt eine eigene, sehr bodenständige Sicht auf die Dinge: „Ich komme ursprünglich aus Eckernförde. Da ist Kiel eine Weltstadt.“

Ausstellung zum Gottfried Brockmann Preis: bis 16. Februar, Stadtgalerie, Kiel

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1 Kommentar

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  • C
    czerwe

    Vielleicht machen die jungen Leute heute auch mehr kontrolliert kopfgesteuerte Kunst, die den ebenso kopfgesteuerten Kunsthistorikern viel mehr entgegenkommt als die individuelle Entscheidung, sich zeitgeistigem Hinterherhecheln zu verwehren.

    Herr Zeigerer dokumentiert hier seine seit langem größte Schwäche: Eine subjektive Sicht ohne Fußnoten zu erarbeiten und nach außen zu vertreten! Solange er sich im sicheren Kontext internationaler Rezeption weiß, fühlt er sich am wohlsten. Für die Position eines Stadtgalerie-Direktors ein trauriges Zeugnis.