Kolumne Der rote Faden: Der Geiz der Teutonen
Durch die Woche gesurft: Hollande wird konservativ, Deutschland ist nicht das Weltsozialamt und Genf II kann den Terror nicht beenden.
D a waren sie sich einig, die Kommentatoren der deutschen Presse: Der französische Präsident François Hollande sei endlich zur Vernunft gekommen. Er ist jetzt wieder einer von uns. Nicht unbedingt in amourösen Dingen, dieses Thema wurde von Hollande diese Woche in der Pressekonferenz vertagt, wohl aber in Sachen Wirtschaft.
Denn der Mann, der vor einem Jahr antrat, um Angela Merkel von links die Stirn zu bieten, bekundete nun, dass er die Unternehmen entlasten werde, damit diese neue Einstellungen vornehmen können, bis es kracht: „Pakt der Verantwortung“ nennt er das. Der Umbau der Sozialistischen Partei in Richtung neoliberale Sozialdemokratie ist damit Programm. Ach ja, bei den öffentlichen Ausgaben und Kommunen soll auch eingespart werden. Die Geschichte wiederholt sich als Farce, bekanntlich.
Da erstaunt es schon, wie leicht es den meinungsführenden Journalisten von der Hand ging, den ansonsten geschmähten Gazprom-Schröder und Pudel-Blair als Maßstab politischer Raison aus der Kiste zu ziehen. Kleine Erinnerungshilfe: Ersterer hatte mithilfe des letztlich gescheiterten Bündnisses für Arbeit (1998–2003) und später durch Hartz IV in Kombination mit der Senkung des Spitzensteuersatzes die Grundlage für die massive Umverteilung nach oben gelegt. An der knapst die Mehrheit der Deutschen bis heute und regt sich mangels tieferer politischer Einsichten und doch zu recht über die explodierenden Managergehälter auf.
Die Situation der Mittelschicht verbesserte sich natürlich nicht, indessen veränderte sich die politische Diskussion. Die wichtigste Folge, so ist man sich im Rückblick unter Politologen einig, war die diskursive Koppelung der Arbeitslosigkeit mit der Wettbewerbsfähigkeit. Fortan dominierte die Annahme, dass konkurrenzfähig nur der sei, der leicht entlassen und Löhne drücken kann. Das deutsche Lohndumping ist einer der Gründe für die Krise in der EU. Solche Pakte der Verantwortung haben weitreichende Folgen, und im guten Sinne auch nur für die ohnehin schon Vermögenden.
„Fehlstart“
Zerstoben ist also die kleine Hoffnung, wenigstens Frankreich könne der zerstörerischen Sparpolitik des Schäuble-Merkel-Duos etwas entgegensetzen. Die Bankrotterklärung des französischen Präsidenten packt die beiden einmal mehr in Watte.
Und die müssen ja jetzt auch erst mal das politische Berlin mit ihren neuen alten Freunden ins Laufen bringen. Die Presse unkt „Fehlstart“ und langweilt damit gnadenlos. Rechtspopulist Horst Seehofer schürt unterdessen in guter konservativer Manier die jederzeit aktivierbare Fremdenfeindlichkeit. Diesmal geht es nicht um Inder, sondern um Bulgaren und Rumänen. Die bedrohen jetzt die Sozialsysteme. Exakt, der Abbau des Wohlfahrtsstaats war stets Angelegenheit der Armen. Siehe oben.
Dass Armut aber kein Wesen ist, das ungebeten in Wohnzimmer einfällt, sondern eine Beziehung beschreibt, wird von diesen Schmarotzerdiskussionen erfolgreich verschleiert. Dabei liegt auf der Hand: Was den einen arm macht, macht einen anderen reich. Viele der hier regulär hergezogenen Osteuropäer arbeiten in Jobs, die so schlecht bezahlt sind, dass der Staat die Gehälter aufstockt. Ein Ergebnis des staatlich legitimierten Lohndumpings, das nur der Mindestlohn abbremsen wird. Also ein Instrument, das der neoliberale Besteckkasten nicht vorsieht.
Gutes altes Deutschland
Aber weil wir auch gute Nachrichten brauchen: Die deutsche Regierung will angesichts des Kriegs gegen die syrische Zivilbevölkerung, der laut UN etwa neun Millionen Menschen dazu gezwungen hat, ihr Zuhause aufzugeben, nicht nur weitere 5.000 SyrerInnen aufnehmen. Nein, ab jetzt sollen die in Deutschland lebenden Angehörigen nicht mehr für sämtliche Kosten der Flüchtenden aufkommen müssen, also in Ausnahmefällen.
Amnesty hatte kritisiert, dass die Bundesregierung die Hürden für ein Visum allzu hoch legen würde. Trotzdem werden weiterhin diejenigen aufgenommen, deren Verwandtschaft genau das tun: Alles bezahlen. Gutes altes Deutschland, du bist das reichste Land Europas und hältst bei so offensichtlich in Not geratenen Menschen die Hand auf.
Nächste Woche steht dann noch die Friedenskonferenz Genf II an. Auch hier wird ein Feuerwerk an politischem Zynismus auf höchster internationaler Ebene abgebrannt werden: Die Rehabilitierung Assads läuft seit den Giftgasanschlägen auf vollen Touren, während er seine Flächenbombardements und die Politik des Aushungerns in Ruhe fortsetzen kann. Denn der Westen wird an dem Märchen festhalten, nur mithilfe von Assad könnten der Vormarsch der Islamisten in Syrien beendet werden. Das Gegenteil ist der Fall. Aber wen kümmern schon reale Verhältnisse? Hauptsache, die Story stimmt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Krise der Ampel
Lindner spielt das Angsthasenspiel