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Ende einer Ära

AMERICAN FOOTBALL Die New England Patriots schockieren ihre Fans mit einer Heimniederlage zum Auftakt der Playoffs in der NFL. Der Respekt vor dem Team um den schwächelnden Quarterback-Heros Tom Brady schwindet

Für Sebastian Vollmer, den ersten deutschen NFL-Spieler, der tatsächlich auch in Deutschland aufgewachsen ist, sind die Playoffs schon vorbei

AUS FOXBOROUGH CHRISTOPH LEISCHWITZ

Das Spiel lief noch, da saß Sebastian Vollmer mit seinen Kollegen schon schweigsam auf der Bank. Die Abwehr der New England Patriots stand noch auf dem Feld und versuchte, die gröbsten Schnitzer auszubügeln. Um dem Angriff noch einmal eine Chance zu geben, aufs Feld zu kommen und zu punkten. Doch Vollmers Gesichtsausdruck sagte alles: Das Spiel war verloren. Die Patriots unterlagen am Sonntagnachmittag in der ersten Playoff-Runde der National Football League (NFL) gegen die Baltimore Ravens mit 14:33. Und das im eigenen Stadion, was die Patriots nicht mehr gewohnt waren. In dieser Saison war ihnen das noch gar nicht passiert, in einem Playoff-Spiel zuletzt vor 31 Jahren. Und Sebastian Vollmer, der erste deutsche NFL-Spieler, der tatsächlich auch in Deutschland aufgewachsen ist, war das Gefühl auch noch recht fremd. Achtmal stand er während der Punkterunde in der Startformation, nur zweimal verloren dabei die Patriots.

Schon nach dem ersten Viertel stand es 24:0 für die Ravens, ein Team, das traditionell eher durch rabiate Abwehrleistung glänzt und die Playoffs am letzten Spieltag gerade noch erreicht hatte. Die Zuschauer im Stadion von Foxborough buhten ihr Team aus. Patriots-Quarterback Tom Brady sagte später: „Ich hätte an ihrer Stelle auch gebuht, so wie wir gespielt haben.“

Hätte er das „Wir“ durch ein „Ich“ ersetzt, jeder Fan hätte zugestimmt. Ausgerechnet der erfolgreichste Footballspieler der letzten zehn Jahre warf mit drei Interceptions den Ball öfter zu einen Gegner als in die gegnerische Endzone (lediglich zwei Mal). Brady war nach einem Jahr Pause wegen eines Kreuzbandrisses auch dieses Jahr nicht verletzungsfrei geblieben, gegen die Baltimore Ravens fehlte ihm eindeutig der Rhythmus. Außerdem vermisste er seinen Lieblings-Passempfänger Wes Welker, der sich erst vergangene Woche, in einem für die Playoffs schon unwichtigen Spiel, ebenfalls einen Kreuzbandriss zugezogen hatte.

Überraschend war an dieser Niederlage allerdings, dass gerade der Neuling Sebastian Vollmer seinem Quarterback gegen die aggressive Ravens-Defensive noch den meisten Schutz gewährte. Vollmer wird von Cheftrainer Bill Belichick vor allem deshalb geschätzt, weil er in der Offense Line vor dem Quarterback auf beiden Seiten spielen kann, was auch in der NFL selten vorkommt. Diesmal startete der 25-Jährige wieder auf der rechten Seite und leistete sich keinen einzigen Fehler. Womöglich hätte er besser auf der anderen Seite gespielt, auf der so genannten „blinden“ Seite des Quarterbacks. Denn Brady wurde einmal hinterrücks der Ball aus der Hand geschlagen, was drei Minuten später zum 14:0 der Ravens führte. Das Spiel war kaum vorbei, da stritten sich die amerikanischen Sportjournalisten bereits, ob nun eine Ära zu Ende gegangen ist. Die Heimniederlage in diesem wichtigen Spiel nimmt auf jeden Fall vielen Gegnern endgültig die Angst vor einem Gegner, der mit Tom Brady schon drei Super Bowls gewann und selbst an durchschnittlichen Tagen jahrelang unschlagbar schien. Womöglich wiegt die Niederlage gegen Baltimore sogar schwerer als die knappe Niederlage in der Super Bowl vor zwei Jahren gegen die New York Giants. Denn damals lag es nicht an Tom Brady, dass die Patriots nach einer Spielzeit ohne Niederlage noch verloren. Nun aber scheint seine größte Stärke, seine Nervenstärke bei Rückstanden nämlich, verloren gegangen zu sein.

Doch die Patriots waren nach dem ersten Playoff-Wochenende nicht das große Thema in den USA. Schon jetzt historisch ist die Partie der Arizona Cardinals gegen die Green Bay Packers, in der beide Abwehrreihen lange Zeit nur Staffage waren. 51:45 endete die Partie für die Cardinals, noch nie wurden in einer Playoff-Partie mehr Punkte erspielt. In der Verlängerung entschied ausgerechnet die Defensive der Cardinals mit einem Touchdown die Flipperpartie. Der 38-Jährige Quarterback Kurt Warner warf dabei 379 Yards und fünf Touchdowns.

Warner hat dabei die Ehre der angegrauten Quarterback-Gentlemen verteidigt. Es ist ihm zu verdanken, dass nicht schon jetzt über einen Generationenwechsel in der NFL diskutiert wird. Denn in einem weiteren Spiel gewannen die New York Jets überraschend gegen die Cincinnati Bengals. Die entscheidenden Spieler im 24:14-Auswärtserfolg waren Quarterback Mark Sanchez und Runningback Shonn Greene – beide Profis in ihrem ersten Jahr. Im vierten Spiel des Wochenendes gewannen die Dallas Cowboys gegen die Philadelphia Eagles mit 34:14. Drei von vier Touchdowns kamen von Spielern in ihrem ersten oder zweiten Profijahr.

Schon jetzt war es ein Jahr voller Erfolge dieser so genannten Rookies, und zu diesen Überraschungen gehört auch Sebastian Vollmer. Auch wenn sein Team ab dem kommenden September, wenn die nächste Saison beginnt, wohl nicht mehr zu den Topfavoriten der NFL gehören wird.

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