Festival für aktuelle Musik: Klangvolle Standortbestimmung
Prinzipiell offen gegenüber Neuem ist man bei der MaerzMusik. In diesem Jahr widmet sich das Festival der heimischen Musiklandschaft.
„Nach Berlin! Nach Berlin!“, so lautet dieses Jahr das Motto des MaerzMusik-Festivals, was einen interessanten dialektischen Dreh ergibt zu den aufgeregten Schlagzeilen zuletzt, dass in New York und auch sonst in der Welt langsam eher über ein „Weg von Berlin! Weg von Berlin!“ diskutiert würde. „Berlin is over“, schrieb etwa die amerikanische Ausgabe des Musikmagazins Rolling Stone – da passt es schon deswegen gut, dass sich MaerzMusik nochmals mit der Hauptstadt beschäftigt, weil ja doch bald alles vorbei sein könnte.
Allerdings betrachten Rolling Stone und MaerzMusik, das Festival für Neue Musik, Berlin dann doch von ziemlich unterschiedlichen Blickwinkeln her. Der Rolling Stone hat die weltberühmte Berliner Party- und Clubkultur im Fokus, schickte einen Reporter ins Berghain, und das Ergebnis der Recherche lautete dann eben: Alles nicht mehr so cool wie ehemals, das Ende naht. Man muss allerdings dazu sagen, dass die beim Rolling Stone zu der Zeit noch nicht wissen konnten, dass Tim Renner als neuer Berliner Kulturstaatssekretär das Berliner Partyleben garantiert wieder gehörig aufcoolen und den leicht angeschlagenen Ruf der Stadt retten wird.
MaerzMusik jedoch will sich in diesem Jahr neben einem Schwerpunkt zum aktuellen Musiktheater speziell um eine Berliner Szene kümmern, die Tim Renner möglicherweise noch fremder ist als die Oper. Eine Szene, die nie in dem Maße gehypt wurde wie die hiesige Clubindustrie und die dennoch genau wie diese als weltweit einzigartig gilt. Die nichtakademische Musikavantgardeszene Berlins ist eine der umtriebigsten überhaupt, und was nichttraditionellen Jazz und Improvisationsmusik anbelangt, hat Berlin schon seit Jahren London als europäischen Marktführer abgehängt.
Eigentlich startet die MaerzMusik in diesem Jahr am Freitag, 14. März, aber man darf auch bereits vorher ein wenig in dieses "Festival für aktuelle Musik" hineinhorchen. Beispielsweise am 13. März bei der öffentlichen Generalprobe zum Musiktheater "IQ" von Enno Poppe im Haus der Berliner Festspiele.
Bis 23. März kann man dann bei Konzerten, Performances und Klanginstallationen an verschiedenen Orten in der Stadt dem Festivalmotto "Nach Berlin! Nach Berlin!" nachgehen und hören, wie sich die Stadt als "Magnet musikalischer Immigration" macht. Info: www.berlinerfestspiele.de
So wie Berlin weltweit bei DJs und Produzenten elektronischer Musik einen glanzvollen Ruf genießt, wegen dem diese in Scharen hierher ziehen, so ist das auch bei diesem musikalischen Spielplatz irgendwo zwischen Jazz und Neuer Musik. Nur mit dem Unterschied, dass die eine Szene eine Lobbygruppe wie die Clubcommission hinter sich weiß und mit Tim Renner jetzt vielleicht auch noch den maßgeschneiderten Politiker zur Durchsetzung von ihren Interessen, während die andere Szene sich um die traurigen Reste langsam versiegender Fördertöpfe prügelt und in der Stadt selbst trotz eines massiven Konzertangebots eher wenig Aufmerksamkeit genießt. Weder medial noch finanziell wird sie angemessen unterstützt. Der international bekannte Improvisationsgitarrist Olaf Rupp beispielsweise fasst die Problematik so zusammen: „Es gibt so viele gute Musiker hier und es gibt ein gutes Publikum. Aber es gibt eben kein Geld.“
Rupp entstammt der ersten Generation einer Szene, die bei der diesjährigen MaerzMusik stark präsent sein wird, der sogenannten Echtzeitmusikszene, die sich international einen Ruf erarbeitet und die sich der spontanen Improvisationsmusik verschrieben hat. Denseland etwa wird bei dem nächste Woche startenden Festival auftreten, ein Trio der Echtzeitmusiker Hanno Leichtmann und Hannes Strobl, die sich mit dem amerikanischen Stimmbandakrobaten und Berufsgurgler David Moss zusammengetan haben, der ebenfalls in Berlin lebt. Auch das Berliner Splitter Orchester wird zu hören sein, ein 24-köpfiges Ensemble aus der Echtzeitmusikszene, das eine Komposition des norwegischen Komponisten Øyvind Torvund uraufführen wird.
Die Idee, ein ganzes Festival für Avantgarde und Klangkunst aller Art lang die eigene Szene zu durchleuchten, bietet einen diskursiven Rahmen, jenseits ausgetrampelter Pfade über die Entwicklung Berlins zu der Musikstadt zu reflektieren, die es heute ist. Nicht von David Bowie, Techno, Mauerfall und Loveparade soll einmal mehr die Rede sein, sondern von Sven-Åke Johansson, Free Jazz in der DDR, Mauerfall und der Szene rund um den längst verblichenen Club Anorak. Man blickt so auf ein subkulturelles Berlin, das den meisten Berlinern wahrscheinlich ziemlich fremd und unerforscht vorkommen wird.
Besagter Anorak war so etwas wie der „Eimer“ für die Echtzeitmusikszene, ein Ort, wie er nur im Berlin kurz nach dem Mauerfall möglich war. Der Szene rund um diesen Laden war auch der aus Australien stammende Tony Buck verbunden, der inzwischen zwischen Sydney und Berlin hin und her pendelt. Buck wird mit seinem Trio The Necks bei MaerzMusik auftreten, das über die letzten Jahre hinweg einen absolut einzigartigen Ambient-Impro-Sound entwickelt hat. Buck ist schon immer ein rastloser Musiker gewesen, der sich zwischen tausend Bands und Projekten aufgerieben hat. Immer wieder ging er fort aus Berlin, um dann doch wieder hierher zurückzukehren. „Nach Berlin! Nach Berlin!“, das ist auch einfach das Motto seines Lebens.
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