Auch Österreich hat seine Visa-Affäre

In österreichischen Botschaften sind über Jahre illegal Visa erteilt worden. Jetzt wird ermittelt: Über 50.000 unrechtmäßige Sichtvermerke werden befürchtet. Im Fokus steht die Kiewer Botschaft. Die Opposition fordert Untersuchungsausschuss

AUS WIEN RALF LEONHARD

Nach Österreich einzureisen ist nicht einfach, außer man kommt aus den privilegierten Ländern, deren Staatsbürgern keine Visa abverlangt werden. Gerade die gegenwärtige Regierung hat sich der Aufgabe verschrieben, das Land noch mehr gegen Süden und Osten abzuschotten. Regelmäßig wird dem Schlepperwesen der Kampf angesagt. Trotzdem scheinen die Behörden jahrelang gegenüber offensichtlichem Missbrauch bei der Visavergabe und Zusammenarbeit von Konsularbeamten mit Schlepperbanden die Augen verschlossen zu haben.

Von mindestens 50.000 illegalen Sichtvermerken sprechen die Ermittler, die sich seit einigen Wochen durch die Archive mehrerer Konsulate wühlen. In Budapest, Bukarest, Lagos, Kairo, Kiew und möglicherweise auch Moskau dürften Beamte in unlautere Visaerteilung verstrickt sein, gegen vier wird strafrechtlich ermittelt. Obwohl es bereits vor über zwei Jahren in Kiew Hinweise auf derartige Praktiken gab, wurden die Ermittlungen wegen zu dünner Indizienlage eingestellt. Belastende Akten waren plötzlich unauffindbar. In der ukrainischen Hauptstadt sollen Beamte gegen Schmiergeld 28.000 Visaanträge ungeprüft genehmigt haben. Pro Visum sollen 1.500 Euro in ihre Taschen geflossen sein.

Im Außenministerium scheint man dadurch nicht hellhörig geworden zu sein. Genauso wenig hat man sich an Anzeigen, die heute noch in serbischen Tageszeitungen erscheinen, gestoßen. Dort wird von Agenturen Hilfe mit Quasi-Erfolgsgarantie bei der Einreichung von Visaanträgen für Österreich und andere Schengen-Länder angeboten. Ob im Konsulat jemand mitspielt oder ob die von solchen Agenten beigebrachten Unterlagen zu gut gefälscht sind, um entdeckt zu werden, ist Gegenstand von Untersuchungen. Für ein Visum benötigt man die Einladung einer Person oder Institution, die für allfällige Kosten die Haftung übernimmt. Eine entsprechende Erklärung muss notariell oder gerichtlich beglaubigt werden. Dennoch ist es offenbar nicht aufgefallen, dass etwa ein Zweimannbetrieb innerhalb eines Jahres mehr als 3.000 Einladungen ausgesprochen hat.

Anders als in Deutschland gab es im Wiener Außenministerium keine entsprechende Aufforderung zur Großzügigkeit. Nicht einmal mit Russland, das ein immer wichtigerer Markt wird, hat man bilaterale Reiseerleichterungen für Unternehmer und Studenten ausgehandelt. Johannes Kyrle, Generalsekretär im Außenamt, gab Dienstag zu, dass ermittelt werde. Von einem kriminellen Netzwerk in den Konsulaten wollte er aber nichts wissen.

Für Außenministerin Ursula Plassnik, die die Affäre von ihrer Vorgängerin Benita Ferrero-Waldner geerbt hat, kommt der Skandal zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. In drei Wochen übernimmt Österreich turnusmäßig die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union. Gegen das Ansinnen der Opposition, die Sache transparent abzuhandeln, mauern die ÖVP-Kollegen der Ministerin. Deswegen dürfte auch die von SPÖ, Grünen und FPÖ immer vehementer erhobene Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss den Weg aller derartigen Forderungen unter dieser Regierung gehen: Er wird von der Mehrheit abgeblockt werden.