Neues Album von Bonaparte: Was für Kaninchen im Weltall

Das Berliner Bandkollektiv um den Schweizer Tobias Jundt hat ein neues Album angekündigt. Entstanden ist es in New York. Mit Selbstfindung hat es wenig zu tun.

Aufgekratzter Mozart: Bonaparte-Mastermind Tobias Jundt. Bild: imago/Future Image

Es fing in diesem Musikzimmer an. Familie Jundt war Ende der 70er in ein neues Haus in der Nähe von Bern gezogen. „Da war endlich mehr Platz, nun gab es dieses Grammofonzimmer. Ein Raum voller Schallplatten“, sagt Tobias Jundt. Papa Jundt hörte in diesem Raum gerne Chansons, die in Schweizerdeutsch – im Berner Dialekt – gesungen wurden.

Tobias Jundt, drittes Kind der Familie, fing an, sich immer mehr für das Zimmer zu interessieren, aus dem diese Klänge kamen. Es dauerte nicht lange, da hörte er nicht mehr nur zu, sondern werkelte selbst mit Instrumenten herum – mit sechs Jahren setzte er sich ans Klavier und spielte einfach drauflos. Für Tobias Jundt sollte die Musik das Wichtigste in seinem Leben bleiben – und auch die Herangehensweise sollte sich nicht ändern: einfach mal machen.

Der heute 36-Jährige hat 2006 die Gruppe Bonaparte gegründet, ein Bandkollektiv zwischen Elektro, HipHop und Indie – Jundt schreibt alle Songs. Das vierte Studioalbum, „Bonaparte“, erscheint in diesen Tagen. Jundts musikalisches Interesse, erzählt er, sei bereits in den späteren Steppkejahren erwacht. Schnell sei er besessen gewesen von jeder Art von Klängen – von Chansons, von Jazz, von Folk, auch von klassischer Musik. Jundt nimmt sich dieses Besessensein bis heute heraus.

Er sitzt an einem Apriltag im Sonnenschein vor einer Kantine in Berlin-Mitte. Sein heutiges Musikzimmer, der Proberaum der Band, befindet sich wenige Meter weiter in einem alten Direktorenhaus, in dem mittlerweile Galerien, Übungsräume und Büros sind. Der Schweizer Musiker experimentiert und probiert dort alleine oder mit Bandmitgliedern vor sich hin.

Das hedonistische Berlin

Der Proberaum ist voller Synthesizer, Gitarren, Orgeln – ein großes Mischpult steht in der Mitte. Bonaparte ist Jundts Kind, und Bonaparte standen vor allem mit ihren Live-Performances lange für das wilde, das hedonistische Berlin. Kostüme und Chic, eine orgiastische Sause. Viel Rumgehopse, viel Schweiß auf nackter Haut. „Ich wollte Musik physisch spüren“, erklärt Jundt. „Deshalb haben wir auch immer zwei Stunden lang volle Power gespielt. Dieser Moment ist die Droge, die Musik ist die Droge.“

Bei einem Album, das den Namen der Band trägt, geht man oft davon aus, dass die Künstler nun zu sich gefunden hätten – das erste Opus Magnum sozusagen. Zum Teil stimmt das: „Die Platte ist so’n bisschen nach dem Motto: ,Maske ab, ich mach einfach Musik.‘“

Wer Jundt aber jetzt mit Erwachsenwerden oder so kommen will, der kennt ihn schlecht. „Bonaparte“ ist sicher nicht mehr so ungestüm, strahlt dafür aber umso mehr Coolness aus, ist auf eine angenehme Weise abgeklärt. Die zwölf Tracks haben was von melancholischer Rückschau, sind aber auch immer noch nächtliche Feierei.

Jundt, dieser kleine, drahtige Kerl, wirkt dabei weniger wie ein strategischer Napoleon, wie es der Name vermuten ließe, als vielmehr wie ein aufgekratzter Mozart unserer Zeit (auch wenn er in der Band die Diktatur der Demokratie vorziehe, wie er sagt). Der Multiinstrumentalist kichert oft, ist sehr charming.

„Ich lebe im Automobilbereich die totale Monogamie“

29. 5. Berlin, Volksbühne; 30. 5. Neustrelitz, Immergut Festival; 7. 6. Salching, Pfingst Open Air; 20. 6. Neuhausen ob Eck, Southside Festival; 21. 6. Duisburg, Traumzeit Festival; 22. 6. Scheeßel, Hurricane Festival

Er sagt Sätze über sich wie: „Wenn ich mich selbst von der Leine lasse, dann schreibe ich irgendwelche abgefahrenen Opern für Kaninchen im Weltall oder so.“ Oder er schwärmt von einem langjährigen treuen Begleiter, seinem Fiat-Oldtimer. Der steht wenige Meter weiter vorm Proberaum. Jundt ist ihm treu: „, nicht wie Xavier Naidoo, der sich vor Gott immer so gebärdet und dann ständig mit anderen Autos rumhurt.“

Bonaparte ist dabei die Geschichte eines musikalischen Vagabunden. Jundt ist sehr frei aufgewachsen und erzogen worden, er sah bereits im Kindesalter Konzerte. Als Jugendlicher fing er an, sich für Jazz und Blues zu interessieren. „George Benson, Van Morrison, solche Leute – die haben zu dieser Zeit alle Nase lang in der Schweiz gespielt.“ Jundt fuhr zu ihren Konzerten und sprach die Stars einfach an. „Wie spielt man diese Partitur, George Benson? Was für ein abgefahrenes Saxofon, Wayne Shorter!“

Dann schuftete er in der Gärtnerei, um sich die Gitarre zu finanzieren. „Irgendwann hatte ich immer noch nicht genug Geld beisammen, bin aber trotzdem einfach zu Gibson nach Basel gefahren.“ Er habe angeklopft und gesagt: „Hallo! Ich will diese Gitarre hier.“ In der Firma des Gitarrenherstellers bot man ihm an, für eine Weile dort zu arbeiten – bezahlt wurde er mit einer dickbauchigen Jazzgitarre. Seiner ersten.

„Ich hab nie eine richtige Musikausbildung gemacht, aber ganz viele Kuchen angeknabbert und dann liegen lassen“, erzählt Jundt. Er habe einige Lehrer gehabt, auch eine Musikschule habe er schon mal von innen gesehen. „Das war aber …“ Jundt fängt an zu stöhnen. Nicht sein cup of tea. Es habe ihn zu sehr eingeschränkt, dieses Hantieren mit Notenblättern.

Anarchischer Discopunk

Anfang der nuller Jahre ging Jundt nach Barcelona. Dort gründete er 2006 die Gruppe Bonaparte. Mit Bonaparte versammelte er Tänzer und Tänzerinnen, Künstler und Künstlerinnen, um etwas zu spielen, was man anarchischen Discopunk nennen könnte. Bonaparte bestanden zum Teil aus bis zu 20 Leuten. Er landete noch im gleichen Jahr in Berlin, nachdem er erstmals in der legendären Bar 25 am Spreeufer gespielt hatte – und blieb. „Ich wollte gar nicht nach Berlin, weil da alle hinwollten. Lustigerweise hat man ja 2006 schon gesagt, das ist doch vorbei und so.“

Mit seiner Band Bonaparte, damals noch völlig unbekannt, ging es da erst richtig los. Während sie sich mit den ersten beiden Alben („Too Much“ von 2008 und „My Horse Likes You“ von 2010) eine große Fanschar erspielten, war „Sorry We’re Open“ (2012) gar in den Top 30 der deutschen und schweizerischen Charts – dieses Album kam erstmals bei einem Majorlabel raus, nämlich bei Warner.

Für das nun erscheinende Album ging Jundt ein halbes Jahr nach New York. „Ich traf da auf einen Mann mit lustigen Haaren und so nem Batikgewand, den fand ich witzig, und der hat gesagt, er hat ein Studio.“ In seiner kleinen Behausung in New York konnte Jundt gerade schlecht arbeiten: „Meine Katze nervte unglaublich, sodass ich nicht aufnehmen konnte in meinem Kellerloch.“

Lustige Haare

Bei dem in Batik gehüllten Mann mit den lustigen Haaren, auf den Jundt wohl nicht ganz zufällig getroffen war, handelte es sich um den Produzenten Andy Baldwin, der bereits unter anderem mit Björk und Neneh Cherry gearbeitet hat. In dessen Studio in Williamsburg entstand das Album, zu den Videodrehs ging es nach China und Texas. Das Ergebnis?

„Bonaparte“ hat einerseits fast bedächtige Stücke (der potenzielle Hit ist die Single „Into The Wild“) und andererseits Auf-die-Zwölf-Tracks („I Wanne Sue Someone“). Es hat zudem ambitionierte und hittaugliche Sprechgesang-Songs („Me + My Selfie“, „If We Lived Here“) – insgesamt ist es das vielseitigste und reduzierteste Album des Schweizers.

Die Songs sind fast nur mit Moog-Synthesizer, Gitarre und einer „Tretmine“, wie Jundt sagt – also einem Verzerrer – entstanden. „Das Album ist total im Leben drin, es ist eine sehr analoge Platte.“ In der Tat, es ist ein Album, das sich den alltäglichen Bedürfnissen widmet, von einfachen Sehnsüchten erzählt. „Den ganzen Bullshit mal hinter sich lassen“, wie Jundt sagt. Die 24/7-Beanspruchung, den Overkill der Gegenwart. Jundt wird nun zum guten Geschichtenerzähler, wo er vorher vor allem als Feierbiest bekannt war.

Er sagt: „Songschreiber zu sein bedeutet ja ein bisschen vorauszuspüren, zu gucken, wo die Welt eigentlich steckt.“ Sieht man es so, lautete die Diagnose: Wir sehnen uns nach sehr, sehr simplen Dingen. Wir wollen nur mal den Hustle hinter uns lassen.

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