Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Madrider Impressionen: Hombre!
Testesteronschub: Hochzeit der Stierkämpfe, zwei Madrider Mannschaften im Finale der Champions League und Protest gegen rechte Krisenmanger.
Neulich in Madrid. Mein Freund Jesús bedauert beim Gang durch Chueca, das Schwulenviertel, dass die spanische Gesellschaft se amaricona: verschwult, verweichlicht. Der bodenständige Jesús, der eigentlich Priester werden sollte, Innereien und Schweinsöhrchen jedem Steak vorzieht, sein Dorf ständig als Referenzraum verklärt, der mit Begeisterung Flamenco-Lokale besucht, während ihm selbst das Feurig-Leidenschaftliche völlig fehlt.
Jesús also ist verwirrt von den Sexläden mit Body Play Analdildo und Handschellen im Schaufenster, die eigentlich gar nicht weich wirken, aber auch von der resignativen, kampflosen Grundstimmung, mit der die Spanier seiner Meinung nach der Krise und den Rechten begegnen. Dabei ist gerade San Isidro in Madrid, das Fest des Stadtheiligen. Hochzeit der Stierkämpfe. Und dann auch noch Real Madrid gegen Athlético Madrid im Finale der Champions League. Ein Testosteronschub geht durchs Land. Spanien in seiner ganzen Männlichkeit. Hombre!
„Machismo“ kommt vom spanischen Macho, was so viel wie männliches Tier bedeutet. Ein echter spanischer Macho hat Hoden, „tiene cojones“. Das ist ein Kompliment und eine ständigeRedewendung. Und bei der Europawahl hatten die Spanier genug „cojones“, um die regierende konservative Volkspartei PP abzustrafen. Sie büßte sieben Sitze im Europaparlament ein. Aber auch die Sozialisten verloren sieben Mandate. Dafür kam die erst 2014 gegründete linke Podemos – auf Deutsch „Wir können“– gleich mit fünf Vertretern ins Europaparlament. Sie war die große Überraschung der Wahl und drittstärkste Partei in Madrid. Die Partei entstand aus der 15-M-Bewegung, die von 2011/2012 die Proteste in Spanien gegen Finanzkapital und die rechte Regierung organisierte.
Podemos – Wir können – ein Lichtblick in der spanischen Politverdrossenheit. Eine Erfolgsgeschichte. Kein Wunder bei dem Namen, der sich so gekonnt ins traditionell machistische Potenzvokabular einreiht. „Cojonudo“ – fabelhaft, findet auch Jesús.