Daniel Pennacs neuer Roman: An der Grenze von Körper und Geist
Erst der Bizeps, dann die Wölbung der Hose und zuletzt Haarwuchs und Zähne: In „Der Körper meines Lebens“ führt ein Mann ein Körper-Tagebuch.
Der eigene Körper – für die einen bleibt er ein lebenslanges Rätsel, für die anderen ist er eine Maschine, die kontinuierlich zu optimieren ist. Für den französischen Autor Daniel Pennac hingegen ist er ein wahrer Kontinent, den es zu entdecken gilt. In seinem neuen Buch „Der Körper meines Lebens“ legt er seinem namentlich nicht genannten Protagonisten eine Art Tagebuch des Körpers in die Feder. Dabei handelt es sich um dessen Vermächtnis an die Tochter, versehen mit persönlichen Anmerkungen.
Mit zwölf Jahren beschließt der fiktive Autor, über die eigene physische Entwicklung Protokoll zu führen. Das Ergebnis ist eine Art ethnologischer Feldbericht, der sich ständig an der Grenzlinie von Körper und Geist bewegt. Dass es sich hierbei um kein gewöhnliches Tagebuch handelt, darauf legt der Autor größten Wert, denn hier werden Gefühle und Ereignisse durch die körperlichen Empfindungen hindurch betrachtet. So ist die Abwesenheit von übermächtigen Empfindungen ein wichtiger Unterschied zu üblichen Tagebüchern, und gerade dieser feine Unterschied macht das Buch in seiner Sachlichkeit und Präzision so originell.
Der Protagonist schreibt und lebt und lebt und schreibt – mit einigen Unterbrechungen bis zum Ableben im Alter von 87 Jahren. Und es ist ein bewegendes Leben, aus dem er berichtet: von der Jugend in der Provinz und frühen Schicksalsschlägen, über den aufzehrenden Clinch mit der Mutter und das rettende Internat, über die deutsche Invasion 1940 und die Zeit in der Résistance bis hin zum gesetzten Leben in Paris.
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Für alles gibt es ein erstes Mal. Mit 15 beginnt er, seinen Körper zu trimmen, um mit dem Modell in der Enzyklopädie des Larousse mitzuhalten. Das erste Fiasko mit der Frauenwelt lässt nicht allzu lange auf sich warten, der erste Sex mit 23 Jahren schon ein wenig länger, das Vaterglück dann nur noch fünf weitere Jahre. Bald darauf tauchen auch schon erste Vorboten des Alters auf, und mit 50 beginnt die Zeit davonzugaloppieren. Dann fallen Erinnerungen wie auch deren Eselsbrücken oft mucksmäuschenstill in sich zusammen, und der Körper wird zunehmend zum Hindernis zwischen dem Selbst und der Welt.
Dafür beginnt die eigene Kindheit umso heller zu strahlen. Überhaupt die Welt: Mit 15 wird bei Gleichaltrigen noch auf Bizeps und Bauchmuskeln geachtet, mit 20 dann eher auf die Wölbung in der Badehose. Von 30 bis 40 wird anderer Leute Haarwuchs taxiert, mit 60 deren Zähne, bis irgendwann unverhohlen nach Anzeichen des Alterns Ausschau gehalten wird – ob Haltung, Gang oder der Art, sich den Mund abzuwischen.
Streng, charmant, ziemlich französisch
Bei aller Banalität einer nicht allzu ungewöhnlichen Biografie ist „Der Körper meines Lebens“ ein komplexes Werk. Es gelingt Pennac subtil und mühelos, die Gedanken des Protagonisten lebhaft abzubilden und zu zeigen, wie diese über Jahre hinweg weitergesponnen werden und dabei doch auch Veränderungen in der Zeit und den Umständen unterliegen. Empathie und einfallsreiche Gedanken zeichnen das Buch aus, etwa wenn die vermeintliche Rücksichtslosigkeit des Alters auf das schamvolle Kaschieren von Gebrechen zurückgeführt wird.
Der Erzählstil ist sachlich und nüchtern, konzentriert er sich doch ausschließlich auf die Beschreibung von Empfindungen und versucht diese, so gut es eben geht, von den sie begleitenden Gefühlen zu trennen. So reichen die beschriebenen Ereignisse von der Lakonie des „Kleinen Nick“ über die Schonungslosigkeit von Philip Roth’ „Portnoys Beschwerden“ bis hin zum unermüdlichen Forschungsdrang eines Claude Lévi-Strauss.
All das lässt „Der Körper meines Lebens“ fest in der Vergangenheit verwurzelt und doch keine modernen Stilmittel scheuend erscheinen, streng und charmant, ziemlich französisch.
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