Jeder für sich allein

Komprimierte „Buddenbrooks“ auf der Thalia-Bühne: Stephan Kimmig inszeniert Thomas Manns berühmten Roman über den Verfall einer großbürgerlichen Kaufmannsfamilie als fein herausgearbeitete Charakterstudie

Die Barrieren sind lächerlich klein. Problemlos übersteigen alle Mitglieder der Familie Buddenbrook die Miniumzäunungen, die auf der Thalia-Bühne zwischen ihnen stehen. Trotzdem sieht das verkrampft und etwas geziert aus – wie bei Dressurpferden, die einen viel zu eng gesteckten Parcours bewältigen müssen.

Von Anfang an stellt Stephan Kimmigs Inszenierung klar: In der großbürgerlichen Familie Buddenbrook ist Spontaneität ein Fremdwort, Kontrolle das Credo aller Beziehungen. Auch die Lebensentwürfe der drei Geschwister sind mehr oder weniger vorbestimmt: Tony, der einzigen Tochter, fällt die Rolle der guten Partie und Vermehrerin des Familienvermögens zu. Thomas, der Älteste, nimmt scheinbar freiwillig den Part des tüchtigen, vernünftigen Firmennachfolgers ein. Nur für Christian steht anfangs alles offen: Künstler, Weltreisender, Bohemien?

Thomas Manns berühmten Roman über den Verfall der großbürgerlichen Kaufmannsfamilie Buddenbrook inszeniert Kimmig als fein herausgearbeitete Charakterstudie. Der Spezialist für Familiendramen (Nora, Das Fest) ist auch hier ein Meister der leisen, pointierten Töne. Auf der Basis von John von Düffels komprimierter Textfassung, die im Wesentlichen aus Originaldialogen besteht, konzentriert sich das Geschehen auf die Entwicklung der drei Geschwister. Auf den Punkt gebracht wird ihr quälendes Schwanken zwischen sozialer Kontrolle und Gefühlen, zwischen familiärer Bindung und Individualität.

Eine geschwungene Flugzeugdecke mit Lüftungsschlitzen und Neonröhren hat Katja Haß über den schwankenden Bühnenboden gebaut. Kein gemütliches Heim ist das, eher ein Luftschiff, das mangels eines fahrtüchtigen Piloten abstürzen wird. Ganz ohne geräuschvolle Bruchlandung indes scheitert jeder für sich allein. Katrin Wichmann gibt anfangs noch die schlagfertige Göre Tony. Den Zudringlichkeiten ihres schmierigen Verehrers Grünlich (Felix Knopp) zeigt sie kichernd den Vogel. Doch nachdem der Konsul (Hartmut Schories) sie in die moralische Mangel genommen hat, kommt sie brav ihren Tochterpflichten nach und heiratet den Widerling. Mit dem Ergebnis, dass sie nach gescheiterter Ehe in den Schoß der nicht gerade erbauten Familie zurückkehren muss.

Haltung bewahren, lautet die Familiendevise, und keine verkörpert diese überzeugender als die Konsulin. Angelika Thomas bleibt selbst dann wie ein Eisblock stehen, als sie erfährt, dass ihr Mann im Sterben liegt. Von ihren Kindern hat der Älteste, Thomas, diese stoische Haltung am stärksten verinnerlicht. Bei Norman Hacker ist Thomas ein arroganter, kalt lächelnder Fisch, der verächtlich auf seine Versagergeschwister blickt, insbesondere auf den jüngeren Bruder Christian (Peter Jordan).

Der hat sich nach Clowns- und Wanderjahren in die Rolle des handlungsunfähigen Kranken geflüchtet. Bis schließlich auch Thomas, nach Jahrzehnten der Selbstverleugnung, die Kontrolle verliert und seine unterdrückten Gefühle über den Körper auslebt: Nervöse Zuckungen durchschütteln ihn. Die Kraft reicht aber noch aus, den eigenen kleinen Sohn Hanno zu drangsalieren. Und zum Schluss stehen wieder zwei Generationen Buddenbrook auf der Bühne, jeder für sich allein. Karin Liebe

Nächste Vorstellungen: 17. 12., 14 und 20 Uhr; 26. 12., 19 Uhr, Thalia Theater