„Wir sind auch da, nicht nur die Werbung“

Die Bedeutung von Street Art wird unterschätzt. Dabei ist sie ein Gegenpol zu überbordender Werbung. Doch nicht immer ist Street Art Ausdruck von Protest. Mitunter sind auch einfach Vandalen am Werk

taz: Herr Bauer, was ist öffentlicher Raum?

Stéphane Bauer: Der Ort, an dem verschiedene Lebenswelten aufeinander prallen. Und zwar solche, die sonst getrennt voneinander sind.

Ist er gefährdet?

Ja. Wenn zum Beispiel private Personen bestimmen, wer an einem öffentlichen Ort sein darf und wer nicht. Wenn Vielfalt nicht erlaubt ist.

Kann man genau festlegen, welche Räume privat oder öffentlich sind? Viele Orte in der Stadt sind beides gleichzeitig.

Natürlich gibt es diese Mischungen. Aber die Definitionsmacht nimmt zu: Irgendjemand bestimmt, wer der Norm entspricht und wer nicht. Obdachlose, die sich in den Potsdamer-Platz-Arkaden oder im Sony Center nur aufwärmen wollen, werden rausgeschmissen.

Sollte Werbung im öffentlichen Raum beschränkt werden?

Es ist wichtig, dass es Regelungen gibt, die Werbung begrenzen. Je mehr öffentliche Räume von Werbebotschaften geprägt sind, desto einseitiger werden sie.

Öffentliche Räume sind ja auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für eine Stadt.

Stimmt. Daraus entstehen auch interessante Widersprüche. Einerseits kriminalisiert Berlin Graffiti und Street Art. Andererseits werden Touristen bewusst mit der Lebendigkeit der Stadt gelockt, und es wird Werbung gemacht mit Elementen der Street Art. Sie ist Teil des Stadt-Marketings und hat hier eine lange Tradition. Die bemalte Mauer ist ein Markenzeichen Berlins.

Wie sollte man mit diesem Widerspruch umgehen?

Wir müssen Street Art in den Diskurs einbeziehen statt ausgrenzen. Durch Kriminalisierung bekommt man sie nicht weg. Die Künstler wollen zeigen: Wir sind auch da, nicht nur Werbung. Es geht um die Frage: Wer definiert, wann eine Stadt schön ist?

Wieso wird Street Art derart verfolgt?

Wenn man jugendliche Sprayer mit dem Hubschrauber jagt, tut man so, als hätte man auch in anderen sozialen Bereichen alles im Griff. Das Vorgehen gegen Street-Art-Künstler ist ein symbolischer Schaukampf.

Aber Street Art ist auch ein Eingriff in den öffentlichen Raum. Es ist ärgerlich, wenn man aus einer zerkratzten Scheibe in der S-Bahn nicht hinausschauen kann.

Das stimmt. Street Art ist auch nicht immer Protest. Zum Teil handelt es sich um reinen Vandalismus.

Sollte gegen Street Art juristisch schärfer vorgegangen werden?

Es gibt ein Recht auf Eigentum. Die bisherigen juristischen Maßnahmen reichen da aus. Wir brauchen keine Verschärfung.

Interview: Giuseppe Pitronaci