die taz vor 19 jahren über wallmanns strahlenschutzvorsorgegesetz
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Gleich mit seinem ersten Gesetz hat Umweltminister Wallmann die Kritiker der Umweltpolitik dieser Regierung vollauf bestätigt. Wenn er etwas anpackt, dann nur, um Mißstände zu verkleistern oder die Sache im Interesse von Atom-, Chemie- oder anderer umweltbelastender Industrien zu verschlimmbessern. Symbolisch ist dafür der Name der Wallmannschen Vorlage: Strahlenschutzvorsorgegesetz. Das reiht sich ein in den Neusprech-Katalog, wo bizarre Kreationen wie „Entsorgungspark“ (für Atommüllzentrale) oder „Nachrüstung“ (für nukleare Aufrüstung) zu finden sind.

Bei Wallmanns Coup kann von „Vorsorge“ höchstens in dem Sinne die Rede sein, daß sich der Alibi-Minister bei seinen Beschwichtigungsversuchen nicht noch einmal von aufmüpfigen Landesregierungen in die Parade fahren lassen will. Und der nächste „Störfall“ kommt bestimmt. Da hilft es der betroffenen Bevölkerung wenig, wenn der Grad ihrer Verstrahlung laut Gesetz nicht so gravierend sein soll, wie er ist. Die gesundheitlichen Auswirkungen ionisierender Strahlung lassen sich von einem CDU-Ministers ebensowenig eindämmen wie eine radioaktive Wolke. Was aber die Monopolisierung der Bekanntgabe von Meßwerten angeht: Da geht Wallmanns Schuß ins Leere. Spätestens seit Tschernobyl sind nicht mehr nur Behörden im Besitz von High-Tech-Meßanlagen, auch Bürgerinitiativen und die Institute von kritischen Wissenschaftlern kontrollieren die radioaktive Strahlung. Und die haben schon angekündigt, daß sie nicht schweigen werden, wenn die Nadel ausschlägt. Es wird also auch weiterhin einen Empfehlungs- und Meßwerte-Wirrwarr geben. Zum Glück: Denn im Zweifelsfall glaubt die Bevölkerung – auch das eine Lehre aus Tschernobyl – eher denen, die nicht an die Weisungen einer Regierung gebunden sind. Das zu unterbinden, dürfte sich Wallmann und mit ihm sein Kabinett auf absehbare Zeit wohl doch noch nicht trauen. Axel Kintzinger, taz vom 12. 12. 1986