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POTSDAMER PLATZLästige Leute

Sie springen dich an, junge, harmlos aussehende Menschen

In den Zeiten, als einmal kurz Frühling war über Deutschland, tauchten sie wieder auf: die lauernden lästigen Leute. Sie verstecken sich im Gewimmel der Touristen am Eingang zum Bahnhof am Potsdamer Platz. Wegelagerer im Namen von Gott, Gerechtigkeit oder auch nur Menschlichkeit. Sie springen dich an, junge, harmlos aussehende Menschen in Jeans und Windjacken. Ihre Mission verfolgen sie mit Nachdruck: Unterschriften sammeln und Kontonummern. Quatschen, bis der Rubel rollt.

„Hallo, einen wunderschönen guten Tag, Sie haben bestimmt einen Moment für mich Zeit, Sie sind doch ein Gerechtigkeit liebender Mensch, und in der Welt gibt es viel Ungerechtigkeit. Wir setzen uns für die Unterdrückten ein und brauchen dazu Ihre Hilfe. Ich habe hier ein Infoblatt und da drüben können Sie auch unterschreiben.“ – „Äh, nein, hab keine Zeit, muss zum Zug“, nuschelte ich beim ersten Mal und hatte den ganzen Nachmittag ein schlechtes Gewissen. Doch das ist lange her, seit der Potsdamer Platz baustellenbedingt auf meinem neuen Nachhauseweg liegt. Seitdem habe ich von Mal zu Mal meine Taktik professionalisiert. Ob Misereor, Peta oder Amnesty International, ich erkenne sie alle, verlangsame meinen Schritt und warte den günstigen Moment ab, in dem vor mir ein Opfer ahnungslos in die Falle tappt und sich nicht rechtzeitig aus den Fängen des netten jungen Menschen befreien kann. Dann beschleunige ich, weiche elegant aus, umrunde das sich windende Opfer und seinen Peiniger und springe erleichtert die Treppen hinab.

Manchmal schaffe ich es nicht. Aber dann hilft der Hinweis: „Ah, schon wieder so ein netter Mensch, kenn ich Sie nicht schon? Sind Sie nicht von Peta? Oder waren Sie letzte Woche für Amnesty hier?“ Angriff ist die beste Verteidigung. Dann nuscheln sie etwas und machen den Weg frei. Aber jetzt ist ja zum Glück wieder Winter. ELKE ECKERT

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