Die heulenden Poster

In seinem Restaurant in Los Angeles servierte er einst Rosinen und Kaugummi. In der Düsseldorfer Kunsthalle präsentiert sich der Konzeptkünstler Allen Ruppersberg nun erstmals in voller Größe

VON KÄTHE BRANDT

Auf der Speisekarte steht „Destilled Water and Beach Sand“. Und auf den Tellern liegen dann tatsächlich kleine Arrangements aus Sand und Wasser oder Erde und Blättern, Zweigen, Baumrinde. Auf einem anderen Teller: Rosinen und Kaugummi. Für 1 Dollar 50 oder 2 Dollar 95.

Allan McCollum, Freund und Chronist des Konzeptskünstlers Allen Ruppersberg, beschreibt das Restaurant, das Ruppersberg 1969 in Downtown Los Angeles eröffnete, als einen familiären Ort, an dem sich jeder Amerikaner zu Hause gefühlt hätte. „Al‘s Café verwandelte Natur in Skulptur, brachte den Wald und die Wüste auf den Tisch“, sagt Mc Collum. Eine Fluxus-nahe, wunderbar lapidare Verbindung von Natur, Alltag und Kunst – wie im legendären „Eat-Art-Restaurant“, das der Künstler Daniel Spoerris 1968 in Düsseldorf eröffnete.

Die Naturobjekte in Ruppersbergs Werk wurden schon bald abgelöst durch verschiedenste Alltags- und Kulturgegenstände, deren Kunstwert erst noch erprobt werden musste. Bücher, Hefte, Fotografien, Filme und Zeitungsausschnitte füllen die Archive des 1944 geborenen Künstlers und werden bei jedem Umzug des Ateliers gesichtet und neu zusammengestellt. So auch für die Düsseldorfer Kunsthalle, wo momentan unter dem Titel „One of many – Origins and Variants“ die erste große Einzelausstellung Ruppersbergs in Deutschland zu sehen ist.

Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre war neben den banalen und quietschbunten Objekten der Alltagskultur, die sich die Pop Art einverleibte, auch die amerikanische Landschaft des mittleren Westens für die Kunst wiederentdeckt worden. In den spektakulären „Site works“ und „performance pieces“, den grandiosen Earth Art Installationen wurde der Galerieraum als Kunstort mit großen Gesten zur Disposition gestellt.

In ihrer sauberen musealen Präsentation in der Düsseldorfer Ausstellung nun widerstehen die Objekte Ruppersbergs in fröhlicher Unerschrockenheit den europäisch geprägten – etwa an Joseph Beuys‘ und Christian Boltanskis Archiven geschulten – Erwartungen von „Authentizität“. Die Asservatenkammer des Künstlers ist aufgeräumt und ordentlich sortiert. Ihre Präsentationsform erinnert an Werbung und Gebrauchsgraphik: Viele kleine und große Erzählungen, die sich zu einem eindrucksvollen Bild konzeptueller Dichte zusammenfügen, ohne ihre kritische Dimension zu verlieren.

Der Dialog von öffentlichen und privaten Räumen, von high and low culture, die Beziehungen zwischen Kunstobjekten und Alltagsgegenständen, zwischen individuellem und kollektivem Erinnern sind immer noch die Parameter von Ruppersbrgs Werk. Mehrere Arbeiten beziehen sich auf die Memorialfunktion von Kunst. Auf eindringliche Weise verschränken sich in ihnen öffentliches Gedenken und private, individualisierte Trauer. Dem Andenken des Künstlerfreundes Allen Ginsberg und anderer verstorbener Künstler und Freunde ist das große Fußbodenmosaik „Letter to a Friend“ (1997/2005) sowie die wandfüllende Installation „The Singing Posters Part I, II & III (Poetry Sound Collage Sculpture Book) – Allen Ginsberg‘s Howl by Allen Ruppersberg“ (2003/2005) gewidmet.

Hunderte von neonbunten Siebdruck-Postern reihen sich da dicht an dicht. Auf ihnen ist Allen Ginsbergs Gedicht „Howl“ zu lesen, ein literarisches Manifest der Beat Generation, dessen Erstausgabe 1957 wegen etlicher obszöner Passagen verboten werden sollte. „Howl“ ist ein furioser Klagegesang über den Zustand Amerikas und eine Absage an ein Leben in den Fesseln bürgerlicher Konventionen. Heute ist dieses Gedicht eine Ikone. Ruppersberg setzt ihm ein unkonventionelles Denkmal und verortet gleichzeitig seine eigene künstlerische Herkunft in der us-amerikanischen Geschichte und ihren modernen Mythen.

Bis 19. Februar 2006Katalog 32 Euro