Geisterzug hat sich zu Tode amüsiert

Kölns Alternativ-Karneval ist in Nöten: 2006 gibt‘s keinen Geisterzug. Veranstalter beklagen „Konsummentalität“

Wenn der Geisterzug rief, zogen Zehntausende durch Köln. Im Jahr 1992 wurde der Karnevalssamstag zum Termin für den unorganisierten Karneval. Und er blieb es. Doch jetzt ist das Aus des Alternativumzugs zu beklagen: Die Veranstalter sagten den Geisterzug 2006 ab – und ergänzen: „Zukunft ungewiss.“

Anlass ist die Kassenlage des Vereins „Ähzebär un Ko“. Finanzielle Sorgen haben hier zwar Tradition, doch diesmal wurde die Reißleine gezogen. Mehr als 10.000 Euro kostet der Zug jedes Jahr, den Großteil verschlingen Auflagen der Stadt für Verkehrssicherung, Ordner und Sanitätsdienste. Zwar akzeptierten die ehrenamtlichen Organisatoren nach heftigen Diskussionen mittlerweile auch Zuschüsse von der Stadt und vom Festkomitee Kölner Karneval, doch die reichen bei weitem nicht aus. Auch das Abschlussfest mit Gratiskonzert brachte lediglich den Bierverkäufern Geld ein, nicht aber dem Geisterzug.

Für Ober-Ähzebär und Geisterzug-Gründer Erich Hermans geht es aber nicht allein um die Finanzen: „Der überwiegende Teil der Mitmarschierer will sich bloß nur noch amüsieren.“ Hermans vermisst nicht nur „Geister“-Kostüme, sondern politische Aussagen. Gedacht war der Geisterzug nämlich als karnevalistische Plattform für die Forderungen von Vereinen „deren Interessen sonst eher nur am Rande wahrgenommen werden“. Wie beim offiziellen Festzug wurde jedes Jahr ein neues Motto ausgerufen. Mal ging es um Integration, mal um Armut, mal um Kölner Filz und Klüngelpolitik. Passend passierte der Geisterzug auf seiner Strecke Arbeitsagentur oder Parteizentralen.

Doch Teilnehmer, die das gesetzte Thema aufgriffen oder aktuelle Politik kommentierten, blieben die Minderheit. Ebenso phantasievolle Kostüme. Was blieb, war ein Geisterzug, der bei jenen Feiernden beliebt war, die das nicht-organisierte Faschings-Treiben mögen.

Dagegen hat auch Organisator Hermans nichts. Was ihn stört, ist die Konsumhaltung der NärrInnen: Nur wenige wollten sich mit einer Spende an den Kosten beteiligen. „Wenn wir vor dem Startschuss mit der Spendendose rumliefen, wurden wir ausgelacht“, sagt Willy Hendricks, ebenfalls Mitglied im Verein der ÄhzebärInnen. Auf der alternativen Stunksitzung wurde ihnen gar das Sammeln verboten: Einige Gäste hatten sich über die „aggressive Bettelei“ beschwert. Und weil Kontakte zu spendablen Unternehmen fehlen und auch Verhandlungen mit einem Organisator für die Abschlussparty vor wenigen Tagen geplatzt sind, fällt die Ausgabe 2006 aus. „Vielleicht findet sich ja jetzt jemand, der das übernimmt – etwa der Studierendenausschuss der Kölner Universität“, sagt Hermans.

Dass eine Absage auch Neuanfang sein kann, zeigt der Geisterzug selbst. Zum ersten Alternativumzug kam es, weil das Festkomitee Kölner Karneval im Zweiten Golfkrieg den Rosenmontagszug offiziell abgesagt hatte.

JÜRGEN SCHÖN