Die unter den Wipfeln geben keine Ruh‘

Einwohner der lärm- und kerosingeplagten holländischen Kommunen am Rande des Awacs-Flughafens Geilenkirchen unterstützen „ihre“ Waldbesetzer

40 Hektar Wald sollen auf Wunsch der Nato gestutzt, sechs total abgeholzt werden

AUS BRUNSSUM HENK RAIJER

In dienstlicher Mission sind sie nicht gekommen. Nur mal „gucken, wie das bei denen so aussieht“, wollen die deutschen Polizisten, die in den Nachrichten von der Waldbesetzung auf holländischer Seite gehört haben. Und so überqueren fünf von ihnen die Fahrbahn, die hier die Grenze bildet, und schliddern über eine matschige Schneise durch den Birkenwald zum Camp. Ihr Schuhwerk ist für den Privateinsatz nicht gerade passend, doch sind die zwei Frauen und drei Männer auf jeden Fall besser getarnt als die gut 20 Aktivisten von „GroenFront!“, die seit gut einer Woche in einem Waldstück am westlichen Ende der Startbahn von Geilenkirchen kampieren.

„Wenn der Tag X kommt und die Polizei, also eure holländischen Kollegen, das Lager räumen will, seilen sich die Leute in ihre Baumhütten hoch, und die sind durch Dschungelbrücken miteinander verbunden“, erklärt Nico Trommelen den interessierten Beamten in einem Deutsch, das stark von der Melodie seiner Heimatprovinz Limburg geprägt ist. „Da werden die sich nicht trauen, mit der Rodung zu beginnen“, sagt der gemütliche Mittvierziger, der seinen Bauernhof im nahen Brunssum selten ohne grauen Filzhut verlässt. Sein „Pfiffig, oder?“ geht im Ohren betäubenden Lärm eines startenden Awacs-Flugzeugs unter. Es ist das bislang achte an diesem nasskalten Dezembertag, das die Nato-Airbase auf deutscher Seite in Richtung Irak oder Afghanistan verlässt.

Nico Trommelen kommt jeden Tag hierher, versorgt die jungen Umweltschützer mit Brennholz und Wasser, lässt sie bei sich zu Hause duschen und wäscht sogar ihre Klamotten. Nach dem Melken sitzt er auch schon mal bis tief in die Nacht am Lagerfeuer und diskutiert über die drohende Rodung der Bäume in dem sechs Hektar großen Waldstück, die angeblich wegen ihrer Höhe ein Sicherheitsrisiko für die startenden Awacs-Maschinen darstellen. Als Hollands oberstes Gericht am 2. Dezember die Klage der Gemeinde Onderbanken, zu der die lärm- und kerosingeplagten Orte Brunssum und Schinveld gehören, gegen den geplanten Frevel abwies, bezogen die Aktivisten von GroenFront! ihre Stellung im Wald. Sie wollen bleiben, „bis die Sache vom Tisch ist“.

Sechs Hektar Wald soll auf Wunsch der Nato vollständig gerodet und auf weiteren 40 Hektar sollen die Bäume bis auf einen Meter Höhe gestutzt werden, damit die Awacs-Flieger in Zukunft mit vollen Tanks aufsteigen können, anstatt in der Luft aufgetankt zu werden. Hans Ubachs gehört zu denen, die der Nato seit Jahren auf der Nase herum tanzen. Der Lokalpolitiker hat die aufmüpfige Gemeinde Onderbanken im Awacs-Streit in den Kampf geführt. „Fragen Sie mich lieber nicht nach meiner Meinung als Privatmann“, sagt Ubachs, der wie schon in den Tagen zuvor in den Wald gekommen ist, um den Besetzern seine Solidarität zu versichern und was zu Essen zu bringen. „Das ergangene Urteil, das Hollands Umweltministerin erlaubt, den Widerstand unserer Gemeinde zu brechen und die Räumung anzuordnen und durchzuführen, ist, sagen wir mal, ,enttäuschend‘“, erklärt er dann als Politiker. „Das Ministerium macht, was es will, das kennen wir ja“, macht Ubachs seinem Frust Luft. „Aber wenn es darum geht, das Urteil umzusetzen und räumen zu lassen, braucht Frau Dekker auf uns nicht zu zählen“, sagt er. „Da machen wir nicht mit!“

Ubachs, ein grauhaariger Mittvierziger in Jeans und Gummistiefeln, ist wie viele Anrainer der Nato-Airbase aktives Mitglied des Vereins „Stop Awacs Overlast“, der sich seit Jahren gegen die Rodungspläne wehrt. Die rührigen Zivilisten aus Holland machen der Nato und der deutschen Nachbargemeinde Geilenkirchen den Vorwurf, eine Alternative – die Verlängerung der Start- und Landebahn um 250 Meter nach Osten – gar nicht erst in Betracht zu ziehen, dafür aber ein Naturschutzgebiet jenseits ihres Hoheitsgebiets leichtfertig zu opfern. Das Kostenargument von Seiten der deutschen Kollegen lässt Ubachs nicht gelten, schließlich profitiere Geilenkirchen von den Abermillionen Euro, die die Nato jährlich in die strukturschwache Region pumpt. „Die haben den Nutzen, wir den Lärm“, wütet Ubachs, der damit unterschwellig zum Ausdruck bringt, dass es im Awacs-Streit nicht nur um Bäume geht.

In Schinveld verstehen Schüler ihre Lehrer nicht mehr, in Brunssum fliehen Asthma-Patienten im Sommer aus ihren Vorgärten, Operationen werden für Minuten unterbrochen, weil die Chirurgen ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen – seit 25 Jahren traumatisiert die Nato-Basis Geilenkirchen Anwohner auf beiden Seiten der Grenze. „Das stinkt wie die Hölle jedes Mal, wenn die Scheißflieger hier hochziehen“, weiß Gert Weitze. Der 64-jährige gebürtige Erfurter lebt seit 1988 im benachbarten Übach-Palenberg und leidet wie zehntausende in der Region unter dem täglichen Lärm und den Kerosinrückständen. „Die Bäume haben doch früher nicht gestört“, meint Weitze. „Erst nach dem Mauerfall, als die Sache mit Afghanistan und dem Irakkrieg der Amis losging, wurde das für die Nato plötzlich zum Sicherheitsrisiko.“ Weitze glaubt, dass die Nato-Basis trotz der geplanten Rodung im Grunde bereits vor der Schließung stehe. „Geilenkirchen macht seit Ende des Kalten Krieges doch gar keinen Sinn mehr für die Awacs-Aufklärung. Die Amerikaner planen mit Sicherheit längst eine Verlagerung nach Griechenland oder Rumänien“, spielt er auf die jüngsten Gespräche von US-Außenministerin Condoleezza Rice in Berlin und Bukarest an.

Wie Dutzende Anwohner aus Schinveld oder Brunssum vor und nach ihm an diesem Tag bringt Gert Weitze den jungen Aktivisten warmen Kaffee, Milch und Schokolade vorbei. „Täglich kommen Frauen aus dem Dorf und stellen Behälter mit heißem Wasser oder eine Suppe an die Straße, andere spenden Wolldecken“, erzählt Bram. „Die Hilfe, die von den Leuten kommt, wärmt einem das Herz bei dieser Saukälte“, sagt der groß gewachsene junge Mann mit den blonden Rastazöpfen, während er mit seinen Freunden ein weißes Bettgestell einen Baum hoch zerrt: Hier entsteht schon wieder eine Baumhütte an diesem Tag, sechs sind es inzwischen, möglichst viele sollen noch folgen.

Bram, der in einem Bioladen im Westen des Landes arbeitet, hat „flexible Arbeitszeiten“. Andere haben Urlaub genommen oder studieren. Bram will mindestens eine Woche bleiben. Für ihn rückt ein anderer GroenFront!-Aktivist nach. „Bisher arbeiten wir mit etwa 20 Leuten im Schichtdienst, aber an den Wochenenden rechnen wir mit Nachschub“, sagt Peter Polder, Sprecher der Gruppe im Wald. Auch die Bevölkerung werde sofort alarmiert, sollten Polizei und Rodungsfirma anrücken. „Wir rechnen damit zwar nicht in den nächsten Tagen und Wochen, sind aber auf alles vorbereitet“, sagt der schmächtige Endzwanziger, der sich im Parker und mit schwarzer Wollmütze gegen die feuchte Kälte zu schützen versucht. „Und wenn sie uns vorne aus dem Wald fegen, kommen wir noch in derselben Nacht hinten wieder rein“, sagt er. Gewaltlos, versteht sich, schließlich habe man einen Ruf zu verlieren.

Die Starts halten sich heute in Grenzen, auch orientieren sich die Piloten der Awacs-Maschinen an die vorgeschriebene Route genau zwischen Schinveld und Brunssum – „weil wir jetzt hier sind und wegen der Aufmerksamkeit der Medien“, erklärt Polder. Er ziehe, wie er betont, den Hut vor dem Mut der Bevölkerung, die sich seit Jahren der Regierung in Den Haag widersetze. Zugleich bedauert er das Fehlen einer Unterstützung von deutscher Seite. „Die müssen das dort wohl erstmal ausdiskutieren“, sagt er mit einem Schmunzeln. „Da haben wir hier einfach eine andere Protestkultur.“

Nico Trommelen wendet seinen Trecker auf der schmalen Grenzstraße am Flughafenzaun und kippt die zweite Ladung Brennholz ins Gebüsch. „Die Leute können von mir alles haben, wenn es sein muss über Monate“, sagt der Bauer. „Und wenn es soweit ist, bin auch ich im Wald.“

Infos (zum Teil auf Deutsch):

www.groenfront.nl