BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER
: Still träumen wir uns in die Kindheit zurück

Jan Feddersens Gastro-Kritik: Die Berliner Weihnachtsmärkte sind ganz und gar nicht egalitär – und längst nicht nur für Familien, Gören und Blagen

Ist das nur eine gefühlte Annahme, die sich durch keine Statistik belegen ließe: dass nämlich auch in Berlin sogenannte Weihnachtsmärkte inzwischen so zahlreich vorkommen wie an der Ost- oder Nordsee Strandkörbe?

Jedenfalls kann man seit Anfang Dezember hinschauen, wohin man will: Überall Weihnachtsbuden. Das Fest, das es irgendwie ja immer gab, das der Familie, und aller Schichten und Religionen. Einst nur in den Stadtkernen, hat nun fast jedes Viertel einen. Und sie haben eines gemeinsam: Ihre Buden sind allesamt aus Holz und meist mit Spitzdach ausgerüstet. Chrom und sonst wie Metallisches würde ja auch nicht passen, denn Weihnachten ist ja das Fest der Erinnerungen – und zu und zu gern, meine These, erinnert man sich an Zeiten, die schöner schienen. Die kärgliche Behausung in Hütten muss zu diesem Ensemble von versunkenen Gefühlen zählen – Holz, das Material, aus dem das Dorf sich baute. Und überall, ob in Spandau, am Alex, am Bebelplatz oder am Ku’-damm, dominieren nicht die üblichen Stadtteilfeststände, Chinapfanne, Livemusik (Country!) und Bierschwemme. Weihnachtsmarkt – das ist Glühwein, Sauerkrautbrötchen mit warmen Prager Schinken.

Die Egalität ist freilich fast vorbei – der Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt, ohnehin nicht die belebteste Gegend, macht von sich mit Eintrittsgeld reden. Alle Pracht steht hinter einem zwei Meter hohen Zaun – dortselbst wird dann klassische Musik geboten. Das ist ein Treffpunkt für jene, die Roncalli für einen poetischen Zirkus halten und alles Volk, das auf Volksvergnügen hält, ausgesperrt wissen möchten: Der Weihnachtsmarkt auf der Flaniermeile der Mitte-Kader möchte nicht, dass der Pöbel die zarten Holzfigürchen allzu grob in die Hände nimmt. Das ist erst wieder auf dem Weihnachtsmarkt an der Staatsoper möglich. Und wie ist er schön, gerade, wenn es dunkel ist. Es riecht nach Gewürzen, Zimt, Kardamon … es duftet nach Heu … Unfug: reine Fantasie, es riecht nach Hier & Jetzt und also Bratwurst und Hefekloß.

Seltsam nur: Lärmten bei der Hinfahrt noch entnervende Kinder (und noch zerrüttetere Eltern) in der U-Bahn, so ist es auf dem Weihnachtsmarkt hier still. Wenige Gören, Blagen, Nervensägen. Was vielleicht der Vermutung Stoff geben kann, dass Weihnachten gar nicht das Fest der Familie und also der Kinder ist, sondern der Erwachsenen, die wenige Wochen im Jahr auf einer solchen Kirmes sich in Kindliches zurückträumen. Das ist natürlich absolut erlaubt: die Paare und Passanten, die Weihnachten sich von Mach-doch-Kinder-Propaganda nicht mies machen lassen wollen.

Die gastronomischen Highlights? Schwer zu sagen. Der Glühweinstand, der seine Getränke nicht in Plastikbechern reichte, sondern in kleinen Tongefäßen, der war nostalgisch ganz auf der Höhe der Zeit.

WEIHNACHTSMÄRKTE gibt es überall in Berlin; sie haben bis zum 24. Dezember geöffnet; der schwul-lesbische Winterpride am Nollendorfplatz schließt erst eine Woche später.