BERNHARD PÖTTER über KINDER
: Die schönste Hauptsache der Welt

Schluss mit kindisch (II): So schreiben Sie Ihre eigene Kinderkolumne. Ratschläge an meine Nachfolgerin im Amt

Eigentlich bin ich kein Typ für rührselige Momente. Aber an meinem letzten Arbeitstag war das anders. Die Ehrenformation der Bundeswehr war im Fackelschein angetreten zum Großen Klingelstreich. Nach „My Way“ intonierte das Heeresmusikcorps „Zehn kleine Krabbelfinger“. Und als mich die Bundestagskita zum Ehrenelternvertreter auf Lebenszeit ernannte, da spürte ich meine Augen feucht werden.

Dann saß ich zum letzten Mal an meinem Arbeitsplatz und räumte meinen Schreibtisch auf. Die Malereien aus Fingerfarben, der Tonklumpen, der ein Dinosaurier sein soll, die angelutschten Lutscher und zerrissenen Fußballbildchen – sie alle wandern ins Haus der Deutschen Geschichte. Eine Spezialeinheit des Bundesnachrichtendienstes war erschienen und löschte alle belastenden Dokumente von den Festplatten meines Computers. Aber die schwarze Schachtel mit den Leserbriefen kramte ich dann doch noch einmal aus dem Papiermüll hervor. Denn die Unterlagen sind brisant. Und Sie können meiner Nachfolgerin sehr hilfreich sein. Auszüge aus den Pampers Papers:

„Liebe Nachfolgerin,

Ich scheide aus meinem Amt des Bundeskinderkolumnisten, das viel Raum für Gestaltung lässt, aber auch alles von Ihnen fordert. Die Position gewährt Einblicke in die nobelsten Seiten und die schlimmsten Abgründe der menschlichen Seele. Sie hat mich über viele Jahre begeistert, deprimiert und um den Schlaf gebracht. (Oder meinen Sie, ich hätte nächtelang mit den Schreikindern auf dem Gymnastikball gesessen, wenn ich nicht eine Story gewittert hätte?). Ich musste Entscheidungen von großer Tragweite treffen, von denen ich vor Amtsantritt keine Vorstellung hatte.

Ich übergebe mein Amt in tadellosem Zustand. Alle beweglichen Teile sind scheckheftgepflegt. Das Personal zu Hause und in der Redaktion ist zumeist willig und oft bemüht. Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich werde als Medienberater im europäischen Ausland arbeiten. In aller Form möchte ich mich für meine Ausfälle während unseres letzten Treffens entschuldigen („Damit eines mal klar ist: SIE bekommen meine Kolumne nicht! SIE NICHT! Wir wollen doch die Kirche im Dorf lassen!“).

Nach Durchsicht meiner Unterlagen habe ich Ihnen die häufigsten Fehlurteile über eine Kinderkolumne zusammengestellt:

1. Kinderkolumnen sind keine Arbeit. Sie schreiben einfach auf, was Ihnen und Ihrer Familie so zustößt.

2. Kinderkolumnen sind harte Arbeit. Sie müssen sich die Kolumnen schließlich ausdenken.

3. Die Leser verstehen Ironie.

4. Sie bezwecken mit der Kolumne Folgendes: Ratschläge zur Erziehung geben; von der Gründung einer Familie abschrecken; den unverantwortlichen Umgang mit Kindern propagieren; die armen Kleinen auszubeuten; Folter zu rechtfertigen; der Ausbreitung von Infektionskrankheiten Vorschub leisten; Kinderlosen ihr schweres Schicksal vor Augen führen.

5. Ihre Freunde erkennen sich in Ihren Geschichten nicht wieder. (Seien Sie froh, wenn Ihre Freunde überhaupt noch mit Ihnen reden und Ihre Kinder nicht aus der Kita gemobbt werden.)

6. Der kleine Unterschied zwischen Ich-Erzähler und dem Autor eines Textes wird erkannt und respektiert.

7. Bekannte und Kollegen liefern Ihnen aus eigener Erfahrung erstklassiges Material für Kolumnen. Pointen werden mitgeliefert.

8. Das Verfassen einer Kolumne wird vom Arbeitgeber durch einen freien Tag vergütet.

9. Kinderkolumnisten sind automatisch Spezialisten für Familienpolitik, Ehegattensplitting oder Pisa-Umfragen.

Eines sollten Sie aber immer im Hinterkopf behalten: Eine Kinderkolumne zu schreiben ist die schönste Aufgabe der Welt. Denn Sie schaffen etwas, was sonst niemandem gelingt: Sie machen alle Menschen glücklich. Manche, wenn Sie Kolumnen schreiben. Andere, wenn Sie damit aufhören.

Nächste Folge: Schluss mit kindisch (I) und Ende, aus, Finito: Was sagen eigentlich die Kinder?

The kids are alright? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler in der ZEITSCHLEIFE