„Deutschlands Politik war stabilitätswidrig“

KRISE II Der Ökonom Gustav Horn sieht eine Mitschuld Berlins am Euroschlamassel. Das Gleichgewicht in der EU will der Wirtschaftswissenschaftler durch deutliche Lohnsteigerungen wieder herstellen

Der Wirtschaftswissenschaftler leitet seit 2005 das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung.

taz: Herr Horn, haben die Euro-Finanzminister Zypern nun gerettet?

Gustav Horn: Nein. Der totale Zusammenbruch des zyprischen Finanzsystems wurde zwar vermieden, aber jetzt kann rasch der wirtschaftliche Zusammenbruch folgen. Der zyprische Bankensektor schrumpft unkontrolliert. Es stehen Einkommenskürzungen und Entlassungen an. Das hat angesichts der Größe des Sektors schwerwiegende Folgen für die gesamte Volkswirtschaft. Stabilisiert wurde aber der Euro. Zypern bleibt in der Gemeinschaftswährung. Das verhindert Spekulationen gegen andere geschwächte Euroländer.

Ist Stabilisierung nur durch rigides Sparen und auf Kosten der kleinen Leute möglich?

Die meisten Ökonomen glauben zwar, dass man Krisenländer erst in eine tiefe Rezession treiben muss. Ich halte das für falsch. In einem rezessiven bis depressiven Umfeld ist etwa eine Konsolidierung öffentlicher Finanzen nicht möglich. Die Krisenländer müssen zwar real abwerten, ihre Lohn- und Preissteigerung muss unter dem Durchschnitt des Euroraums liegen. Dies sollte aber zeitlich gestreckt über Jahre hinweg geschehen, ohne große volkswirtschaftliche Schäden.

Die Bundesregierung fordert gebetsmühlenartig mehr Wettbewerbsfähigkeit. Dabei hat die Eurozone schon kräftige Leistungsbilanzüberschüsse.

Die Regierung hat den Kern des Problems nicht erkannt. Nicht der Euroraum insgesamt, sondern einzelne Krisenländer müssen wettbewerbsfähiger werden. Diese Länder müssen die Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu Deutschland erhöhen. Das heißt, die Lohn- und Preissteigerungen in Deutschland müssen über dem Durchschnitt des Euroraums liegen, während sie in den Krisenstaaten unter dem Schnitt bleiben.

Soll Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit senken?

Nein. Deutschland muss aber für außenwirtschaftliche Stabilität sorgen. Wir sollen möglichst viel exportieren, müssen aber im gleichen Maße importieren. Nur so haben wir auf Dauer außenwirtschaftliche Stabilität. Bislang hat Deutschland eine stabilitätswidrige Politik betrieben. Das hat mit zur Schuldenkrise geführt.

Wie sollen die Lohnerhöhungen in Deutschland aussehen?

Wir können uns darüber freuen, dass die Löhne in der Bundesrepublik derzeit stärker steigen als im übrigen Euroraum. Wir haben über Jahre hin durch zu niedrige Lohn- und Preissteigerungen zu dessen Destabilisierung beigetragen. Die Steigerung der Massenkaufkraft in Deutschland ist ein wichtiger Beitrag zur Krisenbekämpfung. Deutschlands Weg zur außenwirtschaftlichen Stabilität ist aber noch weit.

INTERVIEW: JÜRGEN VOGES