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Kommentar StaatenlosigkeitAlle gehören irgendwohin

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Die UN-Flüchtlingskommission will die Staatenlosigkeit abschaffen. Das wird jedoch nur gehen, wenn Palästina als Staat anerkannt wird.

Palästinenser in Beirut: Die meisten sind staatenlos. Bild: dpa

B is 2024 soll es auf dieser Welt keinen Menschen mehr ohne Staatsbürgerschaft geben. Dieses Ziel der am Dienstag in Genf gestarteten Kampagne „I belong“ des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) ist – im Unterschied zu vielen anderen Absichten der UN – nicht nur sehr konkret, sondern scheint auch realistisch. „Yes, we can“ möchte man da fast ausrufen.

Immerhin fast drei Viertel der UNO-Mitglieder haben mit der Ratifizierung der einschlägigen Konventionen ihren verbindlichen Willen zur Abschaffung der Staatenlosigkeit bekundet.

Und die ermutigenden konkreten Fortschritte der letzten fünf Jahre in Bangladesch, der Elfenbeinküste oder Kirgistan zeigen, dass einst als unumstößlich geltende Traditionsregeln wie das Verbot der Staatsbürgerschaftsweitergabe durch die Mutter ebenso überwunden werden können wie die Folgen des sowjetischen Staatszerfalls.

Dennoch wird sich das Problem der Staatenlosigkeit bis 2024 global nur überwinden lassen, wenn bis dahin ein palästinensischer Staat anerkannt ist und Syrien, der Irak oder andere Staaten in der nahöstlichen Konfliktregion nicht zerfallen sind.

Ohne einen Staat Palästina wird es kaum eine Staatsbürgerschaftsregelung für die seit 1948 entstandenen rund 5,1 Millionen Flüchtlinge geben. Die große Mehrheit von ihnen sind Staatenlose. Und ein Zerfall der Staaten in den Konfliktgebieten würde die Gesamtzahl der Flüchtlinge um ein Mehrfaches der bereits dramatischen Zahl von drei Millionen SyrerInnen erhöhen.

Diese Menschen würden in Flüchtlingslagern staatenlose Kinder auf die Welt bringen. Und keine Aussicht haben auf Rückkehr in einen Heimatstaat, dessen Staatsbürgerschaft sie einst hatten. Nicht auszuschließen, dass aus der „schlimmen Anomalie des 21. Jahrhunderts“ Normalität wird.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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13 Kommentare

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  • D
    D.J.

    Überaus seltsam. Wieso sollte der Ururenkel eines 1920 in Haifa Geborenen, der 1948 seine Heimat verlassen musste und dessen Eltern Großelten und Urgroßeltern bereits im Libanon geboren sind, eine palästinensische Staatsbürgerschaft erhalten??? Libanon ist in der Pflicht, ihm gefälligst die libanesische zu geben. Wie es auch geht, hat Jordanien vorgemacht.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @D.J.:

      Sowas gibt es in Deutschland doch auch. Dort wurden und werden auch nicht automatisch allen "Heimatlose Ausländer" aus den DP-Lagern sowie deren Nachkommen deutsche Staatsbürger. Auch diese müssen sich aufwendig einbürgern lassen, wenn diese deutsche Staatbürger werden wollen...

    • @D.J.:

      was soll daran seltsam sein, einen staat auch faktisch anzuerkennen, den es de-jure seit der annahme des UN-teilungsplans 1947 gibt?

      • D
        D.J.
        @christine rölke-sommer:

        Das ist ein anderes Thema. Aber eine Flucht/Vertreibung noch nach 4 Generationen faktisch oder formal gänzlich ungeschehen machen zu wollen, ist absurd (nicht einmal die in Zypern Vertriebenen von 1974 sollten nach dem leider von den Zypern-Griechen abgelehnten Vorschlag alle zurück).

      • @christine rölke-sommer:

        Hier in Deutschland wird für Kinder von Eltern mit Migrantionshintergrund die Einführung der zweiten Staatsbürgerschaft gefordert.

        Andererseits wird von den gleichen Leuten seit Jahrzehnten ohne Widerspruch hingenommen, das den Kindern von palästinänsischen Flüchtlingen in dritter Generation in ihren Geburtsländern die Staatsbürgerschaft verweigert wird.

        Das läuft wohl darauf aus, das dieser Zustand gewollt ist, um das "Flüchtlingsproblem" am Kochen zu halten.

        Würden diese Menschen mit palästinensischen Migrationhintergrund eine Staatsbürgeshaft besitzen, könnte ja die Forderung nach einem plästinensichen Staat geschwächt werden.

        Da kann man sich schon fragen, wer hier menschenverachtend handelt.

        • @sb123:

          menschenverachtend handelt, wer vertreibung+flucht zu einem "palästinensischen Migrationhintergrund" verhübscht.

           

          ansonsten geht es um folgendes:

          mit der annahme des UN-teilungsplanes waren zwei staaten in der welt. ein staat Israel - der sich in seiner unabhängigkeitserklärung ausdrücklich auf den teilungsplan bezog. und ein staat 'Palästina' - dessen zukünftiges territorium allerdings bereits ab annahme des teilungsplanes durch vorgänger-milizen der israelischen armee besetzt und 'gesäubert und dann ab unabhängigkeitserklärung Israels noch zusätzlich durch Jordanien und Ägypten militärisch besetzt wurde.

          in den friedensverträgen mit Israel haben beide staaten ansprüche auf die von ihnen besetzten gebiete aufgegeben. seither wäre die anerkennung dieser gebiete als der staat 'Palästina' aus dem teilungsplan möglich - und das völkerrechtlich einzig richtige - gewesen.

          wie dann in der region - und weltweit - der status der UNWRA-flüchtlinge in staatsbürgerschaft/en überführt worden wäre, das hätten die staaten der region schon untereinander auskäsen können.

          diese möglichkeit ist jedoch bis heute nicht in realität überführt worden, weil an ihr das rückkehr-/rekompensationsrecht der flüchtlinge in/für gebiete hängt, die heute innerhalb der green line liegen.

          • @christine rölke-sommer:

            Der Ausdruck Migration ist wertneutral und sagt nichts über die Hintergründe der Wanderung aus.

            Vielleicht sollte man zur Situation im Libanon erwähnen, das die Palästinenser dort nicht besonders beliebt sind, lange Zeit als Menschen dritter Klasse behandelt wurden und für viele Bereiche des Lebens ein Berufsverbot herrschte.

            Nichtsdestotrotz. Der weit überwiegende Teil der Menschen hat, von seinem Migrationshintergrund abgesehen zu einem Palästina eigentlich keinen großartigen Bezug mehr.

            Und das es den Menschen in einem palästinensischen Staat besser ginge als bisher, bezweifle ich angesichts der Lebensverhältnisse der Menschen in den angrenzenden arabischen Staaten doch sehr.

            Von mir aus können sie gerne ihr Palästina bekommen, aber ich bin sicher, damit kehrt noch lange kein Frieden ein.

            • @sb123:

              vielleicht gucken Sie mal in den bei http://www.orrae.info/2013-06-24-18-41-55/downloads/pdfs

              eingestellten bericht zu Libanon. der beschäftigt sich zwar hauptsächlich mit den Mhallami, scheint mir aber gut zu verdeutlichen, welche probleme in der region durch erst die umsetzung von Sykes-Picot und in der folge durch die mit der gründung Israels einhergehende vertreibung der palästinenserinnen entstanden sind/befördert wurden. die syrer z.b. haben das mit der volkszählung von 1962, die 120.000 kurden zu ausländern bzw. nicht-existenten=staatenlosen machte, ebenfalls praktiziert - nicht durch direkte vertreibung, sondern durch erzeugung von vertreibungsdruck.

              für andere staaten der region bis hin zur Türkei ließe sich das alles ebenfalls nachzeichnen, aber nicht per google sondern durch längeres forschen in der bib.

               

              die anerkennung Palästinas als staat wäre in dem wirrwar, der da entstanden ist, so etwas wie das durchschlagen des gordischen knotens.

              • @christine rölke-sommer:

                Ihr Wunschdenken in allen Ehren, aber bei einer Staatsgründung Palästinas käme es mit Sicherheit zu gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Fatah und Hamas um die Pfründe der Macht. Und im Ergebnis wieder zu Mord und Totschlag, Vertreibung und Flucht.

                • @sb123:

                  worauf stützen Sie diese Ihre einschätzung?

                  • @christine rölke-sommer:

                    Auf die bisherigen gewalttätigen Machtkämpfe zwischen Hamas und Fatah.

                    Darüber hinaus dulden islamistische Parteien mit ihren Anspruch auf Alleinvertretungsrecht auf Dauer keine säkularen Parteien neben sich.

                    • @sb123:

                      aha.

                      bißchen dünn für ne prognose.

            • @sb123:

              vielleicht sollte man zur situation in libanon wie der ganzen region auch noch erwähnen, dass es dort außer den palästinenserinnen noch mehr staatenlose+zu ausländern gemachte und bürgerinnen 2.und 3.klasse gibt. und nicht nur berufs- sondern auch landbesitz- und nutzungsverbote herrschen.

               

              was ein großartiger bezug zu den weidegründen von ahnen sei und was nicht - ich glaube, wir sollten das nicht besonders vertiefen. das könnte sonst leicht sehr häßlich werden.

               

              und was die zu erwartenden lebensverhältnisse anbelangt: diese würden nicht unwesentlich davon bestimmt, dass die souveränität Palästinas vollumfänglich respektiert würde. von allen nachbarn und weltweit dito. sachichmaso.