: Tiefer in den Wald, tiefer ins Kino
NEUE FILME Noch immer steckt die Filmszene Österreich voller Überraschungen, den verkrusteten Förderbedingungen zum Trotz
VON DOMINIK KAMALZADEH
Erst wer im Ausland erfolgreich ist, findet im Inland Bewunderung. So ist das zumindest in Österreich. Michael Haneke und Ulrich Seidl können sich also zurücklehnen und freuen. Der Oscar für Hanekes schnörkelloses Sterbedrama „Amour“ und die geballte Festivalpräsenz von Seidls „Paradies“-Trilogie verstellen jedoch auch ein wenig den Blick auf eine ganze Reihe österreichischer Filmschaffender, die in den vergangenen Monaten an anderen Orten reüssierten.
So wurde Tizza Covi und Rainer Frimmel mit ihrem zweiten Spielfilm „Der Glanz des Tages“, der um die Lebensentwürfe einer Handvoll eigenwilliger Figuren kreist, bereits auf dem Festival von Locarno viel Anerkennung zuteil. Auf der Grazer Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, wurde das Regie-Duo nun Mitte März auch mit dem Preis für den besten Spielfilm ausgezeichnet.
Mit dem 30-jährigen Wiener Daniel Hoesl steht auch schon das nächste Talent in der Tür. Hoesls gerade mal mit 65.000 Euro finanziertes Spielfilmdebüt schaffte es nicht nur auf Anhieb nach Sundance, sondern auch auf das Filmfestival von Rotterdam, wo es einen der drei Tiger-Awards gewinnen konnte. „Soldate Jeannette“ ist ein frecher, durchtriebener, aber auch von Respekt gegenüber ausgewählten Größen des Autorenkinos getragener Film, dem man in fast jeder Szene anmerkt, dass er Anerkennung sucht.
Ironie und Seriosität
Doch der Film findet eine solch irritierende Balance aus Ironie und Seriosität, dass das nicht stört und man bis zum Ende gebannt bei der Sache bleibt. Die Heldin des Films, Fanni (Johanna Orsini-Rosenberg), wirkt ein wenig wie die Parodie einer in ihrer bürgerlichen Identität eingemauerten Haneke-Figur. Renitent und aufmüpfig, aber auch mit aristokratischer Nonchalance verweigert sie sich gesellschaftlichen Pflichten. Die erfrischende Freiheit dieser Figur liegt in ihrem Vermögen, Sicherheiten schlicht zu ignorieren.
Nicht von ungefähr sind auch Kunst und Kino keine Praktiken mehr, die sie aus ihrer Indifferenz retten könnten. Hoesl findet für diese Haltung die richtige formale Strategie: Der Film sucht keine geschmeidigen Lösungen. Einige der Schauspieler sind Laien, andere Szenefiguren. Die Originalität entsteht in den Zwischenräumen, in der Reibung eigentlich unverträglicher Materialien.
Stärker dem österreichischen Realismus verpflichtet ist „Talea“, das Spielfilmdebüt der Filmakademie-Absolventin Katharina Mückstein. Die 14-jährige Jasmin (Sophie Stockinger) sucht in den Ferien Anschluss an ihre Mutter Eva (eine großartig „ungeschminkte“ Rolle für Nina Proll), die kürzlich aus dem Gefängnis entlassen wurde. Erzählerisch ist „Talea“ ein überschaubares Projekt, manche Wendung wirkt ein wenig forciert.
Doch Mückstein inszeniert ihre kleine Geschichte mit konzentrierter Umsicht. In sorgfältig komponierten Bildern, die von langsamen Landschafts-Trackings durchbrochen werden, folgt sie den beiden auf einen Abstecher ins Waldviertel. Auf Momente des Näherkommens, beim Spazieren oder bei einer Zigarettenpause, folgen erste Missstimmungen. Der Wunsch, zeigt „Talea“, macht noch keine Wirklichkeit.
Bernadette Weigel, eine weitere Studentin der Wiener Filmakademie, wurde mit ihrem Filmessay „Fahrtwind“ – Aufzeichnungen einer Reisenden – auf der Diagonale zur großen Überraschungssiegerin in der Kategorie Dokumentarfilm. Weigel führt das visuelle Tagebuch einer Reise, von der zunächst nur die Richtung feststeht. Mit dem Schiff geht es auf der Donau gen Osten, nach Bulgarien, und von dort, über Rumänien und die Ukraine, immer weiter ohne klares Ziel, bis sich der Orient auftut.
Weigel, von der nur flüchtige Reflexionen oder ihre Füße zu sehen sind, hält sich vor allem über ihren aufmerksamen, neugierigen Blick präsent. Die Filmemacherin kommt ohne thematische Engführungen aus, sie konzentriert sich aufs Hinschauen, verdichtet mitunter Impressionen über die Montage, hebt lyrische Momente hervor.
Das Schöne dieses auf Super-8-Material gedrehten Films ist die Beschränkung auf innere Notwendigkeit: das Auffinden und zeitliche Bannen von Bildern, wenn man in Bewegung ist. Gemeinsam ist all diesen Arbeiten jedoch nicht nur ihre formale Vielseitigkeit, sondern auch ein förderspezifischer Hintergrund. Jede einzelne dieser Produktionen wurden mit Mitteln aus dem Topf „Innovative Film“ des Bundesministeriums für Kunst unterstützt, einer Fördereinrichtung für den künstlerischen Film, die mit einem überschaubaren – und seit Jahren stagnierenden – Budget von 2 Millionen Euro mittlerweile einen großen Teil der unabhängigen Filmproduktion mitträgt.
Missverhältnis in der Filmpolitik
Anders als das Österreichische Filminstitut (ÖFI), dessen Budget im letzten Jahr auf 20 Millionen Euro aufgestockt wurde, profitierte der „Innovative Film“ nicht von internationalen Erfolgen. Dieses Missverhältnis ist bezeichnend für eine Filmpolitik, die auf den Erhalt etablierter Strukturen ausgerichtet ist, dabei aber die prekäre Lage vieler Filmschaffender aus den Augen zu verlieren droht.
Eine auf der Diagonale präsentierte Studie, in der die Fördervergabe der österreichischen Subventionsstellen der letzten zehn Jahren untersucht wurde, kritisierte überdies die Rolle des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (ORF), der als Auftraggeber kaum mehr in Erscheinung tritt. Umso mehr greifen Produzenten daher auch für TV-Projekte auf Förderstrukturen zurück. Bei solchen monetären Engpässen ist es eigentlich verwunderlich, wie reichhaltig das experimentelle Filmschaffen trotzdem noch erscheint. Bei der Diagonale konnte man in diesem Segment sogar eine neue Tendenz zum Langfilm erkennen.
Tauchgang zu den Untoten
Norbert Pfaffenbichler hat seine „Notes on Film“ mit „A Messenger from the Shadows“ um eine stupende Hommage an Lon Chaney erweitert. Chaney, der Stummfilmgroßmeister des grotesken Körpers und „Mann der tausend Gesichter“, wird durch eine Art Spiegelkabinett seiner eigenen Rollen geführt. Pfaffenbichlers Film ist ein Tauchgang in fantastische Tiefen des Kinos, in denen Vampire, Zombie-ähnliche Kreaturen, Phantome und irre Clowns aufeinandertreffen.
Die Faszination dieses Mediums für Untote reicht bekanntlich bis in die Gegenwart. Auf eine ähnliche Tradition verweist auch Mara Mattuschkas und Chris Harings Film „Perfect Garden“, in dem sich ein paar verlorene Gestalten in einer Nachtbar ihren Trieben hingeben. In Heißhungerattacken werden Wörter so lange zerkaut, bis sie ihre semantische Funktion einbüßen, bei erotischen Annäherungsversuchen kommen motorische Abläufe ins Stocken, was manchmal an Cartoons, dann wieder an die mysteriösen Welten eines David Lynch erinnert.
Eine andere, nicht weniger sinnliche Form von Analyse leistet Michaela Grill in ihrer 20-minütigen Arbeit „Forêt d’expérimentation“, die aus digital nachbearbeiteten Naturaufnahmen schillernde Texturen herauslöst. Die lange Tradition von Naturfilmen der Filmavantgarde – man denke an die Arbeiten des US-Filmemachers Stan Brakhage, der sich mit analogem Filmmaterial den stofflichen Verhältnissen der Natur anverwandelte – setzt Grill mit einer eigensinnigen Ästhetik fort, die zwischen Momenten der Kontemplation und dynamischen Rauschzuständen wechselt. „Forêt d’expérimentation“ ist eine Arbeit, die ihren Titel wörtlich nimmt und immer tiefer in einen magischen Wald von Bildern eindringt, in dem schemenhaften Tiere zu Hause sind und versteckte Quellen sprudeln; dieser Wald möge in seiner Vielfältigkeit auch in Zukunft ein treffliches Bild für das österreichische Kino abgeben.
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