Elchkuh lag auf dem Acker

Vermutlich 11.000 v. Chr. gefertigt: Im Rhein-Sieg-Kreis wurde ein verziertes steinzeitliches Werkzeug gefunden

Als Werner Schmidt den Stein aufhob, hatte er noch keine Ahnung, was für einen Fund er da gemacht hatte. Wie so oft hatte der 66-jährige Rentner an einem Sonntag Morgen im Sommer 2005 den Acker in Windeck im Rhein-Sieg-Kreis nach Fundstücken aus vergangenen Zeiten abgesucht. Wie so oft hatte er viel Geröll eingesammelt. „Aus Augenhöhe kann man nicht unterscheiden, ob ein Stein wichtig ist“, erklärt der Postbeamte im Ruhestand, der solche „Feldbegehungen“, wie er das ganz fachmännisch nennt, seit Jahrzehnten macht.

Die Überraschung kam zu Hause, beim Waschen der Fundstücke in der Regentonne. Auf der Unterseite eines handtellergroßen, flachen Steins waren deutlich die Umrisse eines Tieres eingeritzt. „Es ist der Fund meines Lebens“, sagt Schmidt. Er schaltete das Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege sowie das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz ein, das einen eigenen Forschungsbereich Altsteinzeit hat. Die Forscher identifizierten das Tier als Elchkuh. Auch auf der anderen Seite war eine Tiersilhouette zu sehen, allerdings schlechter erkennbar. Schrammen an der Seite waren für die Experten ein Hinweis, was es mit dem verzierten Stein aus Tonschiefer auf sich hat. Es dürfte sich um einen „Retuscheur“ handeln, ein steinzeitliches Werkzeug, mit dem Steingeräte wie etwa Pfeilspitzen bearbeitet wurden. „Das ist im Moment die plausibelste Erklärung“, sagt Martin Street vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum.

Mikroskopische Analysen und stilistische Vergleiche machten eine ungefähre Datierung möglich. Demnach dürfte das Werkzeug um 11.000 v.Chr hergestellt und benutzt worden sein. „Das ist ein ganz typisches Werkzeug aus dieser Zeit“, ist sich Street sicher. Ähnliche Eiszeit-Werkzeuge seien zum Beispiel in Frankreich, der Schweiz und Spanien entdeckt worden. Allerdings sind solche Funde rar. Und einen Elch als Tiermotiv haben die Archäologen in dieser Epoche bisher noch nie gesehen. „Sensationell“ nennt Street den Fund deswegen.

Stimmt die Datierung, dann stammt der Fund aus einer Zeit, als in Europa ein Klimawandel stattfand, erläutert Street. Es wurde wärmer, was zur Folge hatte, dass anstelle der Graslandschaft in Mitteleuropa eine licht bewaldete Landschaft entstand. Tierarten wie Rentiere oder Mammuts zogen weiter oder starben aus. Dafür kamen andere, die besser mit dem wärmeren Wetter zurechtkamen. Zum Beispiel der Elch.

Demnach wäre der Retuscheur an der Scharnierstelle zwischen eiszeitlicher und nacheiszeitlicher Kunst anzusiedeln. Sein Fundort auf einem Acker in Windeck lässt außerdem darauf schließen, dass das dortige Tal damals als natürliche Verbindung zwischen Rheintal und Westfalen genutzt wurde. Um mehr über den Stein herauszufinden, wollen die Archäologen nun den Fundort genauer untersuchen. Irgendwo auf dem Acker bei Windeck müssen sich eiszeitliche Sedimente finden, aus dem der Retuscheur hochgepflügt wurde, hofft Street. Dort lassen sich vielleicht noch andere Spuren menschlicher Tätigkeiten ausmachen. Street spekuliert vor allem auf Holzkohle oder Tierknochen. Das würde dann auch eine genauere Datierung des Steinwerkzeugs möglich machen. DIRK ECKERT

Der Fund ist derzeit im Rheinischen Landesmuseum in Bonn ausgestellt.