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: HELMUT HÖGE über Rekultivierungsstrategien

Neue Hoffnungsträger für Guben – „The Nice Place on the Neiße“ (Stadtwerbung)

In Guben kam es zu den letzten Häuserkämpfen des Zweiten Weltkriegs, seitdem passiert dort jedoch eher das Gegenteil. Nach Kriegsende teilte man die zerstörte Stadt: Das Zentrum wurde polnisch, das Industrieviertel blieb deutsch. Erst ab den 70er-Jahren gab es wieder kleine Gemeinsamkeiten: So arbeiteten zum Beispiel polnische Frauen aus Gubin im neuen Chemiefaserwerk von Guben; nach 1989 baute man gemeinsam ein Klärwerk und gründete ein deutsch-polnisches Gymnasium.

In Guben, wo eine Fabrik nach der anderen dichtmachte, hoffte man dann vor allem auf Polens EU-Beitritt. Seitdem stellten jedoch erst einmal auch noch die letzten Fabriken in Gubin ihre Produktion ein. Und nun tauchen nur noch völlig verrohte Abenteuerunternehmer dort auf, die von solchen wüst werdenden Verzweiflungsorten angezogen werden. Schließlich kosten Gubener Herrschaftsvillen inzwischen gerade mal einen Euro das Stück, und zu den riesigen leer stehenden Fabriken bekommt man noch Subventionen in Millionenhöhe dazu.

Zuletzt sorgte einer dieser zwischen Heuschrecke und scheuem Reh changierenden „Investoren“ für Aufregung: der postsowjetische Arbeiter- und Bauernleichen didaktisch aufpräparierende „Plastinator“ Gunther von Hagens. Er möchte in einer der einstigen Wollfabriken seine Werkstätten einrichten. Die relativ kirchlich regierte Stadt protestierte sofort, ebenso der evangelische Bischof Wolfgang Huber. Zuvor hatte man den erfolgreichen Plastinator bereits aus dem katholischen Polen vertrieben.

Jetzt droht Guben neues Ungemach: Diesmal ist es die CKS, ein quasireligiöses Dienstleistungsunternehmen, das dort seine „Cargo-Kultstätte“ platzieren will. Dabei geht es den Projektmachern nicht um die dortigen Immobilien. Es zieht sie wegen der vielen Hartz-IV- und ABM-Empfänger mit ihrem Cargo-Kult-Service an die Neiße. Dahinter steht die richtige Erkenntnis: Wenn die binnenökonomische Kaufkraft zurückgeht, geschieht dies in den nationalökonomischen Zentren relativ, an der Peripherie jedoch absolut. Die davon betroffenen Bevölkerungsteile sehen ihre Überlebensökonomie dann nur noch durch einen wie immer gearteten Cargo-Kult gesichert. Kurz gesagt handelt es sich dabei um eine idealistische Frustrationsverarbeitung von Menschen, die lange Zeit „von oben“ mit Hilfsgütern versorgt wurden, sich darauf ökonomisch einstellten – und dann hilflos mit ansehen mussten, wie diese Flüge plötzlich eingestellt wurden.

Die Cargo-Kulte haben im Zentrum fast immer Flugzeuge und Fallschirme. In der tribalistischen Südsee geht der Kult einher mit einer langsamen Rückkehr zur Subsistenzwirtschaft. Im einst überfürsorgestaatlichen Ostdeutschland mündete er stattdessen in das von der Landesregierung üppig geförderte Großprojekt „Cargo-Lifter“, das jedoch Pleite ging, wodurch 70.000 Kleinaktionäre ihr Geld verloren. Im Potsdamer Kunstverein wird dies gerade künstlerisch bewältigt.

Aus der verlassenen Produktionsstätte machte derweil ein asiatischer Investor das Freizeitparadies „Tropical Islands“, womit er auf die Herkunft des Cargo-Kults anspielt – nämlich auf die armen Entwicklungsländer mit den schönen Sandstränden, wo man, wie es ein Theologe von dort ausdrückte, nicht seine Zeit verschwendet, wenn man unter einem Baobabbaum sitzt, sondern sie vielmehr produziert.

Die neue Cargo-Kultstätte an der Neiße nun reflektiert ebenfalls auf eine Insel: auf die zwischen Guben und Gubin gelegene „Amphitheaterinsel“. Hier, wo schon wiederholt spirituell engagierte Künstler im Rahmen von EU- und Borderline-Events auftraten, will der Cargo-Kult-Service i. G. die Transsubstantiationsriten zur Verwandlung von Wunsch in Wirklichkeit, das heißt von abstrakten Förderanträgen in reale Zahlungsmittel praktizieren.

„Das muss aber dann ruck, zuck gehen, ich bin schließlich nicht mehr der Jüngste“, lautete dazu der erste Kommentar eines Gubener Frührentners. Eine Gruppe Jugendlicher, darauf angesprochen, reagierte skeptischer: „Das wird wieder so ausgehen wie die McDonald’s-Ansiedlung hier – auf der polnischen Seite nämlich; die Theaterinsel kann man doch auch nur von Polen aus betreten, da dürfen wir uns gar nicht blicken lassen, das gibt bloß Zoff!“ Wird also Guben wieder mal nur belogen und betrogen?