Ein wenig unterhopft

ALLDIEWEIL Peter Hein, bekannt als Sänger der Band Fehlfarben, war in der Stadt, um uns seine Geschichten zu erzählen, die von anderen Städten handeln

Peter Hein rauscht auf die Bühne des BKA-Theaters in Kreuzberg und beginnt seine Lesung wie viele seiner Erzählungen: mit Bier, dass er bei Antritt auf die Bühne links und rechts aus seinen Hosentaschen holt und liebevoll beäugend auf seinen Lesetisch stellt. Also kein „Unterhopfing“ heute, so wie er den schlimmen Fall von Biermangel in seinem Buch beschreibt. Nun sitzt er dort oben, die langen Beine in engen, etwas zu kurzen hellen Hosen verhüllt, die roten Socken sichtbar, und beäugt vorsichtig in leicht gebückter Haltung mit hektischen Blick sein Publikum.

Er will Geschichten aus seinem Buch „Geht so“ mit dem Untertitel „Wegbeschreibungen“ vorlesen. „Geht so“ enthält intelligent lustige Erzählungen eines Flaneurs namens Peter Hein, der während seiner Gigs durch Deutschland verschiedene Städte zu Fuß erkundete und sich seine ganz eigenen Gedanken zu Orten wie Würzburg, Tuttlingen oder Zürich machte.

Da Berlin in seinem Buch etwas lieblos nur als Liste von Clubs vertreten ist, in denen Hein mal gespielt hat („über alles andere schweigt des Sängers Höflichkeit“), beginnt seine Lesung mit einer anderen Millionenstadt: Hamburg. Schnell ist zu spüren, dass Hein wenig von seiner Wut verloren hat, wenn er von den „alternativ-kreativen Kapitalisten“ im Hamburger Schanzenviertel spricht: „So überhaupt nichts dazugelernt, alles Brache und spekulationsverhinderthabenwollende Ex-Entmietungen. Und im Erdgeschoss und Tiefparterre die Wortspielhölle, selbstgestrickt, drittgeweltet, Eigenimport, Mondpreise.“

Und Hein hat noch ein zweites Buch mitgebracht, einen kürzlich erschienenen Gedichtband, welcher Texte aus seinem mittlerweile 30-jährigen Schaffen mit den Bands Mittagspause, Family 5 und den Fehlfarben zum Nachlesen enthält: „Die Songtexte 1979–2009“. Dort ist bisher unveröffentlichtes Material zu finden wie auch Selbstdiagnosen à la „Und der einzige Sieg nach all dieser Zeit / Dass du immer noch hier bist und nur manchmal noch breit.“

Und den großen Hit der Fehlfarben „Ein Jahr (Es geht voran)“ bringt der heute 52-Jährige brüllend zum Vortrag. Zwischendurch macht er auf die wenigen Zeilen aufmerksam und sagt: „Mehr braucht man nicht für’n Hit – und ich hab zwei Koautoren gehabt!“

Es folgen weitere Episoden. „Wenn ihr keinen Bock mehr habt, ich mach auch allein weiter“, murmelte er einmal. Peter Hein ist eine ehrliche Haut. Nicht nur in seinen Liedern und Erzählungen, auch in seiner Lesung. So sind es die vielen kleinen Zwischenansagen, die den Abend amüsant machen. Wenn er zum Beispiel sein Handy auf den Tisch legt und nuschelt: „So, jetzt muss ich mich mal mit der Uhr vertraut machen. Wenn’s klingelt, geh ich nicht ran, aber sonst kann ich die Uhr nicht sehen.“ An anderer Stelle hält er sein Buch hoch und brummelt: „Ihr seht mich blättern, weil ich kein Fan von gelben Klebezetteln bin, die sollen ja nur die Höhepunkte markieren. Das spar ich mir. Denn dann hätte ich ein Buch voll gelber Zettel.“

Zum Schluss läuft Hein noch einmal zu Bestform auf, als er mit wütend quakender Stimme und kein bisschen altersmilde vorliest, wie der Tonmann an einer Magdeburger Tramhaltestelle nicht nur von „Dreckskins“ angepöbelt („Scheißeskimo“), sondern auch noch von einer vorbeikommenden Polizeistreife einer Personalienüberprüfung unterzogen wird und „von diesen verfickten Zonenbullen, die in ihrer verfickten Freizeit dem gleichen verfickten Wehrsport nachgehen wie ihre anders uniformierten Brüder im Ungeist“, belästigt wird. „Dabei werden die von unserem Solidarzuschlag bezahlt, damit sie Menschen vor Gelichter schützen“, schreit Hein. Und dann ist Schluss. Harndrang.

Es war amüsant. Doch vielleicht war Hein zu wenig vom Alkohol umnebelt, das Publikum zu leise, oder es sind wie in seinem Buch „Geht so“ die kleineren Städte, die Hein reizen und ihn in Wallung bringen. An mancher Stelle lesen sich Pointen zu Hause lustiger, als Hein sie mit schneller Stimme vorträgt.

SIMONE JUNG