Gewinne bleiben beim Staat

Europäischer Gerichtshof erlaubt Konzernen nur in Einzelfällen, die Verluste ihrer ausländischen Töchter anzurechnen. Es sind kaum Steuerausfälle zu befürchten

Verluste in Belgien, Gewinne in England: Das kann ein gutes Geschäft sein

FREIBURG taz ■ Das Urteil nutzt multinationalen Konzernen, stürzt die Finanzminister aber nicht ins Unglück. Gestern entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass multinationale Firmen die Verluste ihrer ausländischen Töchterfirmen nur in Einzelfällen anrechnen dürfen. Die Hürden sind recht hoch, sodass wohl keine Steuerausfälle in Milliardenhöhe drohen.

Geklagt hatte die englische Bekleidungsfirma Marks & Spen-cer. Sie hatte mit ihren Töchtern in Belgien und Frankreich schwere Verluste gemacht und wollte diese mit ihren Gewinnen in England verrechnen. Das aber ist in Großbritannien verboten, weil ja auch die Gewinne der Töchter nicht in England, sondern in Belgien oder Frankreich besteuert würden.

Marks & Spencer klagte hiergegen, erzielte aber nur einen halben Erfolg. Einerseits akzeptierte der EuGH, dass die Nationalstaaten und nicht die EU die Regeln für das Unternehmensteuerrecht aufstellen. Andererseits müssten die Nationalstaaten Regeln vermeiden, die die Gründung von ausländischen Tochterunternehmen unverhältnismäßig erschwert. Dann werde nämlich die in den EU-Verträgen garantierte Niederlassungsfreiheit verletzt.

Künftig gilt: Auch weiterhin sind nationale Gesetze zulässig, die gegen das gezielte Verschieben von Gewinnen und Verlusten vorgehen. Auch im Binnenmarkt muss nicht ermöglicht werden, dass die Gewinne im Land der niedrigsten Steuersätze und die Verluste im Land der höchsten Steuersätze berücksichtigt werden. Ein generelles Verbot der Verlustverrechnung halten die EU-Richter aber für überzogen. In Zukunft muss die Verlustverrechnung erlaubt werden, wenn die ausländische Tochter ihre Verluste nicht mit eigenen Gewinnen verrechnen konnte – und die Defizite auch nicht auf einen Dritten übertragen hat wie etwa einen Käufer des Unternehmens.

Wie häufig diese Bedingungen erfüllt sind, werden die Konzernjuristen nun mit Feuereifer für alle 25 EU-Staaten durchrechnen. Dementsprechend unbezifferbar sind die Folgen für die öffentlichen Haushalte. Definitiv übertrieben waren aber Befürchtungen der deutschen Länderfinanzminister, die mit einer rückwirkenden Belastung von bis zu 50 Milliarden Euro gerechnet hatten.

Sicher ist auch, dass England sein Steuerrecht ändern muss, weil es die Verlustverrechnung in internationalen Konzernen generell verbietet. Zugleich hat das Urteil Auswirkungen weit über England hinaus, denn auch das deutsche Steuerrecht verbietet bisher ausnahmslos die Anrechnung von Verlusten ausländischer Töchter. (Az.: C-244/03)

CHRISTIAN RATH