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Berliner SzenenFahrende Familie

So eine Bahnfahrt in der Weihnachtszeit kann auch etwas sehr Schönes sein. Wenn nicht zu viele Menschen dabei sind.

Was fehlt: der Schnee. Bild: dpa

D er Regio, der von Wittenberge nach Gesundbrunnen fährt, ist ziemlich leer. Die meisten Leute haben einen Vierersitz für sich, das ist auf eine gemütliche Art asozial. In meinen Kopfhörern singt Tom Waits. Ich bin sehr verstöpselt mit dem Zug, weil die Kopfhörer im Handy stecken, und das Handy ist verkabelt mit dem Ladegerät in der ersten Steckdose, und in der zweiten Steckdose steckt das Ladegerät vom Tablet, auf dem ich lese.

Dass ich mit dem Handy wieder Musik hören kann, ist neu und schön, ich hab nämlich ein neues Smartphone bekommen, von einem Mann aus Magdeburg, den ich gar nicht kenne, aber er kennt meine Texte, und weil ich auf Twitter gefragt hab, ob jemand noch ein iPhone für mich hat, weil mein altes schon ganz zerschrottet war, hat er mir eins geschenkt, und jetzt singt Tom Waits, und die Apps öffnen sich so schnell, dass ich währenddessen nicht mehr Bier trinken oder die Wäsche aufhängen kann.

Also, jedenfalls, der Zug. Es hat geschneit am Morgen, und jetzt regnet es und die Tropfen laufen schräg am Zugfenster lang wie Spermien in einem Aufklärungsfilm. Die Schaffnerin kommt und kontrolliert und fragt, ob jemand fünfzig Euro wechseln kann. Eine Frau hinter mir kann. Tom Waits singt für ein Mädchen mit Sonne in den Augen, und der Mann neben mir fragt, ob ich ein Taschentuch für ihn habe. Habe ich. Eine Frau links vorne gießt sich Yogitee aus einer Thermoskanne ein.

Wir sind eine große fahrende Familie. Wir atmen dieselbe trockene Bahnluft, wir gucken aus denselben Fenstern auf die Brandenburger Felder, wir spiegeln uns in den Scheiben, wir ignorieren Bedarfshalte und hören auf Durchsagen, und als in Neuruppin West der zweite Zugteil angekoppelt wird, werden wir kurz gerüttelt. Und als wir dann in Velten sind, ist es schon fast Berlin und lauter neue Leute kommen dazu und die ganze schöne Intimität ist hinüber.

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
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1 Kommentar

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  • Wenn man ganz fest an den Weihnachtsmann glaubt, dann schenkt er einem auch schon mal ein Smartphone. Mein Anbieter wollte mir dieses Jahr auch mal wieder ein iPhone schenken. Ich hab aber dankend abgelehnt. Der weiß auch so schon immer, wo sich mein Handy aufhält.