piwik no script img

Die WahrheitNach Haus telefonieren

Kolumne
von Sabrina Künz

Wenn die Eltern ins digitale Kommunikationszeitalter springen wollen, ist das für die Kinder nicht unbedingt begrüßenswert.

D ie vernetzte Welt führt Familien zusammen. Zumindest in der Theorie. Der Sprung meiner Familie ins digitale Kommunikationszeitalter beginnt mit dem bevorstehenden Umzug meines Bruders ins Ausland. Er installiert Skype.

Erste Konversationen proben Vater und Sohn aus der sicheren Distanz zwischen Wohn- und Schlafzimmer. Mein Vater sitzt angestrengt vorm Laptop. Er schreit den Bildschirm an, als müsse er die Entfernung ins Nebenzimmer allein durch sein Stimmvolumen überwinden. Mein Bruder am anderen Ende der Wohnwelt lächelt tapfer. Wie nett.

Hätte ich ahnen können, dass sich die Technik gegen mich wenden wird? Und zwar mit dem elterlichen Beschluss, die Distanz zwischen der rheinischen Heimat und meiner Wohnung in Berlin sei ebenfalls groß genug, um sie mit einer Video-Schalte überbrücken zu müssen.

Ein Sonntag später. Pünktlich erklingt das akustische Signal, das den virtuellen Besuch ankündigt. Das erste, was mir bei der exzentrischen Bildkomposition ins Auge fällt: Der Kopf meines Vaters nimmt ein Drittel des unteren Bildes ein, während sich die Schlafzimmerschrankwand bedrohlich bildfüllend über ihm auftürmt.

„Papa, du musst den Bildschirm etwas runterklappen!“ – „Schätzchen? Schätzchen?“, fragt es konfus aus dem Skype-Kosmos. Wie die Hand Gottes strecken sich mir seine Finger entgegen. Plötzlich schwarze Stille. Eltern weg.

Skype, zweiter Versuch. Während mein Vater mit der Kameraeinstellung kämpft, huscht eine schemenhafte Gestalt durchs Bild. Meine Mutter, gekleidet in einen mintfarbenen Nicki-Hausanzug.

„Hallo! Mama?“ Verschwunden. Im Hintergrund ist lautes Rascheln zu hören. Immer wieder ragt meine Mutter kurz in den Bildrand, nur um sofort wieder zu verschwinden. Ihre Stimme wirkt dumpf.

„Bin gleich da.“ Vater: „Ich habe das gestern mal gegoggelt und die Einstellungen am Gerät entsprechend optimiert.“ – „Es heißt googlen.“ – „Goggeln – googlen. Sag mal, was ist das eigentlich für ein Balken? Der blinkt. Ich drück mal kurz …“ Finsternis.

Nächste Runde. Ich befinde mich im fünften Kreis der Hölle. Meine Mutter schwebt wieder ins Bild. Sie trägt jetzt ein makelloses Twinset in rosé und strahlt: „Liebelein, schön dich zu sehen. Warst du gestern aus?“ Kreisch! „Verdrehst du die Augen?“ Verdammte Videotelefonie. Vater: „Der Balken zittert.“ – „Lass den bitte in Ruhe.“ Während mein Vater am Laptop rumfummelt, richtet Mutter noch schnell ihre Frisur.

Klick. Das Bild ist plötzlich von Palmen und Wellen umrahmt. „Papa, lass das Programm in Ruhe.“ Klick. Die Palmen verschwinden, stattdessen glotzt er mich jetzt aus verzerrten Augen an. „Die Webcam hat Fun-Einstellungen. Deine auch?“ Bevor ich in Tränen ausbreche, übernimmt meine Mutter: „Schätzchen, wir müssen Schluss machen. Essen ist fertig. Aber das sollten wir unbedingt nächste Woche wiederholen!“ Nicht, wenn ich es verhindern kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!