Die Elektroschrott-Veredlerin

MATERIALVERWERTUNG Den Anfang machte ein aus Versehen fallen gelassener Fernseher, dessen Innenleben Marina Nörren teils zu Schmuck verarbeitete. Inzwischen führt sie einen Design-Laden in Hamburg-Ottensen

Für das Glück, das zu tun, was sie liebt, arbeitet sie gern sechs Tage die Woche

VON YASMINA SAYHI

Lautsprecherkabel mit Platine als Halskette, keramische Mikroprozessoren als Ohrstecker und ein Quarzkörper als Manschettenknopf. Es gehört ein wenig Fantasie dazu, wenn Marina Nörren von ihrer Arbeit als Schrott-Schmuckdesignerin erzählt. „Ich muss die Schaufensterscheibe mehrmals täglich putzen“, sagt sie und lacht. „Die Passanten drücken beim Vorbeigehen immer ihre Nasen gegen die Scheibe.“ Diese Faszination versteht sie gut, denn die Elektronik habe eben eine ganz eigene Schönheit, sagt sie.

Diese Schönheit hat Nörren durch Zufall für sich entdeckt, als sie vor ein paar Jahren einer Freundin beim Umzug half. Sie ließ versehentlich einen Fernseher fallen, der ging zu Bruch und offenbarte sein Innenleben. Aus einem kleinen elektrischen Widerstand fertigte sie später eine Kette und schenkte sie ihrer Freundin als Entschädigung für den kaputten Fernseher. Die Freundin sei begeistert gewesen und habe sie ermutigt, Elektronikbauteile zu Schmuck zu verarbeiten, erzählt Marina Nörren. „Man kann nicht sagen, dass ich diese Sache erfunden habe“, sagt sie. „Vielmehr hat sie mich gefunden.“

2011 dann, drei Jahre nach dem Missgeschick mit dem Fernseher und der ersten Kette, hat die gebürtige Ukrainerin ihren Laden „Transformator“ in Ottensen eröffnet. Vorher hat sie viel experimentiert und gearbeitet und ihre Werke auch auf Kunstausstellungen gezeigt.

Nach Deutschland ist Marina Nörren vor 20 Jahren der Liebe wegen gezogen. Vor sechs Jahren dann nach Hamburg. „Es fühlt sich an wie in meiner Heimatstadt“, sagt Nörren. „Wie in Tschernowitz.“ Nörren hat dann Philologie studiert und in Hamburg bei einem Pharmaziegroßhandel gearbeitet. Aber nebenher widmete sie sich immer wieder ihrem Schmuck aus Schrott. „Meine frühere Arbeit konnte einfach jeder machen. Das hier nicht“, sagt sie. Heute macht sie nur noch Schmuck. Im Hauptberuf.

In ihrem Ottenser Laden hat jedes Schmuckstück seinen eigenen Platz in den Vitrinen. Auf Satinkissen liegen die kleinen Ohrringe, Manschettenknöpfe und Anhänger aus Elektrobauteilen. Jedes Stück ist ein Unikat, und die Preise reichen von 30 bis 200 Euro. „Einmal habe ich sogar ein Collier für 1.000 Euro verkauft“, sagt Nörren. Sie ist ein bisschen überrascht. Denn sie hatte den Preis doch nur so hoch angesetzt, weil sie sich so schwer von der Kette trennen konnte. „Diese Schmuckstücke sind wie meine Kinder, die ich betreue und gut aufgehoben sehen will“, sagt sie. Schließlich habe sie das Collier dann aber doch verkauft: an eine Frau, die es zur Hochzeit ihrer Tochter trug.

Einige Elektronik-Bauteile dürften übrigens nicht weiter verarbeitet werden, weil sie auslaufen könnten, sagt Marina Nörren. Sie lasse sich in diesen Dingen von einem befreundeten Geologen beraten, der sich bestens auskenne. „Auch ich weiß inzwischen ganz gut Bescheid“, sagt Nörren. Sie verwende nur die Teile, die komplett unbedenklich seien.

Rentabel sei ihr Geschäft durchaus, sagt sie. „Aber vielleicht sehe ich das nur deswegen so, weil ich eben nicht rechne.“ Bekannte raten ihr immer wieder, sie solle den Schmuck doch in Boutiquen geben, da könne sie mehr Profit herausschlagen. Aber das will Nörren ihrem Schmuck nicht antun. Sie schaut nicht auf den Profit, denn bisher kommt sie über die Runden, und sie will auch gar nicht mehr. „Für das Glück, das tun zu können, was man liebt, arbeite ich auch gern sechs Tage die Woche“, sagt sie lächelnd.

Nun stehe aber erst einmal eine Reise an, sagt sie. Wohin, weiß sie noch nicht. „Vielleicht gehe ich auch mit gepackten Koffern zum Flughafen und schaue, wo es mich hinzieht.“