Schluss mit dem Freak Out

ENDE EINES PLATTENLADENS

Besuche konnten zu Bewährungsproben geraten. Und gegen Herzweh helfen

Aufbruchzeiten. Wer Anfang der Neunziger aus ästhetischen und Gewissensgründen in den Prenzlauer Berg zog, stand auch irgendwann auf der Rykestraße vor einem Schaufenster mit drei Plattencovern: „Die Hamletmaschine“ von Heiner Müller und den Einstürzenden Neubauten, „Shift-Work“ von The Fall und von Test Department „Pax Britannica“. Es hieße, die Musik zu verniedlichen, bezeichnete man sie nur als Farbtupfer am Ausgang einer noch unsanierten Seitenstraße. Eher handelte es sich dabei um Botschaften aus einem Westen, an dem das Nichtwestliche interessant war. „Freak Out“, wie sich der Plattenladen mit dem Frank-Zappa-Motto nannte, sollte zum Kennwort einer Dekade werden. Hinter der Tür fand sich mehr der Konterbande. Hier wartete Musik, die man eventuell schon vage im Kopf, aber noch gar nicht gehört hatte: Free Jazz, Industrial, Punk in seinen Verästelungen, Soul und Folk.

Zum Freak-Out-Ritual gehörte, dass man Begründer Bodo Parlow nach einem Album fragte und fünf weitere empfohlen bekam. Besuche konnten zu Bewährungsproben geraten. Und genauso gut gegen Herzweh und Schlimmeres helfen. Eine Zeit lang bildete Freak Out mit dem benachbarten, eher auf klassischen Schmutz spezialisierten OM-Sounds der Ost-Punks Colonel und Michael „Pankow“ Boehlke und Henryk Gerickes CD-Verleih Tesla ein vergnügliches Bermudadreieck.

Letztere beiden Läden schlossen bereits in den Neunzigern. Autor und Dichter Gericke betreute ab der Jahrtausendwende die umfangreiche Secondhand-Abteilung des Freak Out. Zur selben Zeit zog der Laden um die Ecke auf die Prenzlauer Allee, wo er bis zum Donnerstag residierte. Jetzt hat Ostberlins dienstältester Plattenladen nach dreiundzwanzig Jahren seine Pforten geschlossen. Das Ende ist ausnahmsweise nicht ökonomisch bedingt: Bodo Parlow wird aufs Land ziehen, Henryk Gericke sich seiner Staatsgalerie Prenzlauer Berg widmen. Ihre Platten nehmen sie mit. So gesehen ist der Freak Out nicht einfach Geschichte, sondern allenfalls ortlos geworden. ROBERT MIESSNER