Das Ende der Seidenstraße

Aus der Traum: Den ungehinderten Verkehr von Menschen und Waren in Zentralasien gibt es nicht mehr

AUS TASCHKENT MARCUS BENSMANN

Zweimal die Woche checken im Terminal 2 des Flughafens Frankfurt am Main rüstige und bildungsbeflissene Touristen in bequemer Reisekleidung ein. Die Uzbekair fliegt montags und donnerstags von Frankfurt in die usbekische Hauptstadt Taschkent. Die Mehrzahl der Reisenden ist auf dem Weg zu den Städten der Seidenstraße mit den blau gekachelten Kuppeln. Deren Namen Samarkand, Buchara Chiwa klingen nach Märchen von 1001 Nacht und wecken in den Pensionären Abenteuerlust. Die usbekische Tourismusindustrie wirbt gezielt mit dem jahrtausendalten Charme, der von dem Klang „Seidenstraße“ ausgeht. Der Name erzählt von einer Zeit, von der berichtet wurde, dass eine Jungfrau mit einer Vase voller Gold den Weg von China durch Wüste und Steppe nach Europa zurücklegen konnte.

Diese Zeit ist lange vorbei. Der Traum des grenzlosen Verkehrs von Menschen und Waren ist in Zentralasien in einen vier Meter breiten und drei Meter tiefen Graben gestürzt.

Die Erdfurche wurde auf Geheiß der usbekischen Regierung 2009 in aller Eile entlang der usbekischen Grenze im Ferghanatal gegraben und trennt nun wie ein Lindwurm weit sichtbar Usbekistan von Kirgisien und Tadschikistan. Das Ferghanatal ist die fruchtbarste und am dichtesten besiedelte Region in Zentralasien, umschlossen von den Ausläufern des Tienschan- und Pamirgebirges, in dem sich die Grenzverläufe dreier zentralasiatischer Staaten, Usbekistan, Kirgisien und Tadschikistan, in einander verkeilen.

Der kirgisische Soldat steht an der Grenze, der Blick ist zusammengekniffen, die Stiefel sind staubig, und unter dem Uniformtuch spannen sich die Muskeln. Empört zeigt er auf den Graben. „Gute Nachbarschaft sieht anders aus“, seufzt der Grenzer, „Die offizielle Begründung für den Graben lautet aus Taschkent: Terroristenabwehr.“ Im Mai 2009 explodierten an der usbekisch-kirgisischen Grenze Bomben, ein usbekischer Grenzposten wurde überfallen. Seither beschuldigt die usbekische Regierung unaufhörlich Kirgisien, Terroristen nicht zu bekämpfen. Mit einem Kopfnicken zeigt der kirgisische Grenzer auf den Graben. „Kein Terrorist der Welt wird sich von so einem Graben abhalten lassen.“ Die Furche diene allein dem Zweck, den Warenschmuggel zu unterbinden, vermutet der Grenzer: „Versuchen Sie mal einen Kühlschrank aus China darüber zu hieven.“

In russischen Zeitungen fand sich im Juli die Nachricht, dass der usbekische Präsident Islam Karimow zugegeben habe, dass die Grenzbefestigungen allein den Handel kontrollieren sollen. „Deutschland feiert den Mauerfall vor 20 Jahren und wir in Zentralasien ziehen Gräben“, bemerkt der Kirgise. Der Grenzer wird angefunkt und verschwindet. In der Sowjetunion hatten die Grenzen zwischen den Republiken für die Menschen der Region nur administrativen Charakter. Sie bemerkten sie nicht, wenn sie auf dem Basar Kokand in der usbekischen Republik einkauften.

Immer neue Hindernisse

Das hat sich mit dem Zerfall der Sowjetunion geändert. Vor allem Usbekistan achtet darauf, die Grenzen bemerkbar zu machen. Besonders die von Usbekistan verfügte Politik der hohen Zölle traf den kleinen Grenzhandel. Immer wieder werden die Grenzübergänge geschlossen und das Passieren für Menschen mit Waren wird unmöglich gemacht. Die Macht in Usbekistan denkt sich immer neue Handelshindernisse aus. Der letzte Streich ist der Graben. Bisher hat Rasgul gelernt, sich gegen diese Widrigkeiten zu wehren. Die Händlerin will nicht ihren richtigen Namen nennen, denn sie kommt aus Usbekistan und dort ist ein offenes Wort gefährlich.

Die 45-jährige Usbekin ist Händlerin und wohnt mit ihrer Familie in Andischan, einer usbekischen Stadt in unmittelbarer Nähe zur kirgisischen Grenze. Einmal die Woche macht sich die füllige und groß gewachsene Frau auf den Weg über die Grenze nach Kirgisien auf den Basar nach Karasu. Das krause schwarze Haar steckt unter einem braunen Kopftuch, das Gesicht ist mit Lippenstift und Tusche geschminkt. In einer beigefarbenen Kunstledertasche verwahrt die Usbekin die zu Bündeln geschnürten Geldscheine. Karasu ist der größte Basar in Zentralasien. Er hat nichts orientalisch Schönes wie die Märkte von Samarkand oder Buchara, er ist laut, unübersichtlich und stinkt. Aber hier werden Geschäfte gemacht. Eine Mauer aus Containern grenzt das unübersichtliche Areal ein. Eine Geräuschkulisse aus vielen Sprachen, ein Schreien und Rufen, Zirpen und Klirren liegt wie eine Glocke über dem Basar. An dessen Rändern haben Küchen und Restaurants Hochbetrieb. Der Duft von gegrilltem Hammel und der Rauch der Kohle ziehen in die Gassen. Wie in einem überdimensionierten Ameisenstaat schieben sich durch überdachte Gassen die Käufer an den Läden vorbei. Karasu ist der Umschlagplatz für chinesische Waren in Zentralasien. Kunstpelze, Kunstleder, Fernsehgeräte, Stereoanlagen, Kühlschränke, Jeans und gefälschte Markentaschen bieten Händler aus China an. Rasgul hat ein Dutzend Bügeleisen erworben, sowie Lederjacken und Damenhandtaschen. Die Handtasche fest in ihren Händen, bahnt sie sich einen Weg durch die Menschen. Direkt hinter ihr schiebt ein Tagelöhner die Schubkarre mit den erstandenen Waren durch die Gassen.

Rasgul hat schon viel erlebt. Erst erhöhte die usbekische Regierung die Einfuhrzölle, dann rissen sie die Brücken zwischen dem usbekischen und kirgisischen Ufer des Flusses Karasu ein und brachten den Grenzhandel fast zum Erliegen. Als im Mai 2005 in Andischan die Bevölkerung sich gegen das usbekische Regime zur Wehr setzte, griffen auch die Menschen im usbekischen Karasu zur Tat. Sie verjagten die usbekischen Grenzer, bauten die Brücke wieder auf, und bahnten sich den Weg zu dem Markt auf der kirgisischen Seite. Die usbekische Macht schlug den Aufstand in Andischan mit Panzerwagen nieder, ließ aber die Brücke offen.

Perfekt für Schmuggler

Rasgul hat das alles erlebt. Mit Beharrlichkeit fand sie immer neue Wege und Umwege, die Widrigkeiten zu umgehen. Die Grenze im Ferghanatal ist unübersichtlich, sie führt oft durch Dörfer und trennt benachbarte Gehöfte voneinander. Ein perfektes Gelände für Schmuggler. Auch Rasgul nutzt deren Dienste. Sie bekamen einen Teil des Gewinns, sonst hätte Rasgul mit ihrem kleinen Geschäft nicht überleben können. Die usbekische Regierung blieb nicht tatenlos.

Taschkent monopolisierte den Warenimport nach Usbekistan. Alles kontrolliert eine in der usbekischen Hauptstadt beheimatete Gesellschaft mit dem klingenden Namen Abu Sachi. Nur Abu Sachi darf Waren von den zentralasiatischen Nachbarstaaten nach Usbekistan einführen. Jeder Händler ist gezwungen, die auf einem Handelsplatz in den angrenzenden Ländern erworbenen Güter über Abu Sachi nach Taschkent zu bringen. Erst in der usbekischen Hauptstadt bekommt er die Waren ausgeliefert, die er verzollen und dann in seine Heimatstadt zurückführen muss. Für die usbekische Händlerin Rasgul ist das ein Problem. Ihre Heimatstadt Andischan unweit der kirgisischen Grenze und dem dortigen Basar Karasu liegt 1.000 Kilometer östlich von Taschkent. Ginge es nach den usbekischen Behörden, führe Rasgul eine halbe Stunde zum Markt in Kirgisien, müsste aber 2.000 Kilometer zurücklegen, um die Waren dann zu erhalten. Für viele Händler wie Rasgul wäre das das Ende, und wer sollte dann die Familie ernähren? Der letzte Ausweg ist das Schmuggeln. In Usbekistan wird der Geschäftstüchtige so zum Verbrecher. Und der Graben an der Grenze macht die illegalen Querungen gefährlicher und damit teuerer. „Aber wir haben doch keine andere Wahl“, seufzt Rasgul. Der Graben zeigt Wirkung. „Unsere Geschäfte gehen zurück“, sagt ein Chinese, der Porzellan, Geschirr und Töpfe verkauft. Es kämen immer weniger Kleinhändler aus Usbekistan. „Nur die Großen können auf die Dienste von Abu Sachi zurückgreifen.“

„Pünktlich und sicher“

Suchridin Wochobow ist der Vertreter von Abu Sachi in Karasu. Die Filialen der Firma überziehen den Marktflecken Karasu wie ein Spinnennetz. In den Hinterhöfen stehen Lkws und warten auf Ware. Überall laufen breitschultrige Männer mit dunklen Sonnenbrillen herum und überwachen das Geschäft von Abu Sachi. Die Haare des knapp dreißigjährigen Familienvaters aus Taschkent sind kurz, die Geschichtszüge weich. Er sieht ein bisschen aus wie ein Student. „Nur wir dürfen Waren nach Usbekistan einführen“, sagt der Statthalter der Firma in Karasu, und alles andere sei illegal. Wochobow pendelt wöchentlich zwischen Taschkent und dem Markt. „Wir liefern pünktlich und sicher“, sagt der Usbeke.

Der Graben im Ferghanatal, der kirgisische Grenzsoldat, die usbekische Händlerin und der alerte Wochobow von Abu Sachi sind Zeugen, dass der freie Handel in Zentralasien schlechte Zeiten durchlebt. Die Idee der grenzenlosen Seidenstraße ist heute allein ein Souvenir im Reisegepäck der Samarkandtouristen. Aber Rasgul gibt nicht auf. Sie wird weitermachen, bisher hat es immer einen Weg gegeben, und sicher auch einen, der über einen vier Meter breiten Graben führt.