Das Metropol-Theater Berlin ist zurück: Diskurs über Liebe, Lust und Lüge
Barrie Kosky, Adam Benzwi, Dagmar Manzel und Max Hopp spielen die musikalische Komödie „Eine Frau, die weiß, was sie will“. Die Dummheit ist besiegt.
Drei Stolpersteine vor dem Eingang erinnern seit Freitag an den Terror, den die Nazis auch gegen das damalige Metropol-Theater gerichtet haben. Der Schauspieler und Sänger Fritz Spira ist im Konzentrationslager Ruma ermordet wurden, dem Konzertmeister Kuba Reichmann gelang die Flucht ins Exil, Hans Walter Schapira war Bibliothekar, Theaterdiener und Kassierer. Er fiel dem Euthanasie-Programm der Nazis zum Opfer.
Die kleinen Messingtafeln gehören inzwischen zum Stadtbild von Berlin, und es ist gut, dass sie nun auch an der heutigen Komischen Oper einen Platz gefunden haben. Intendant Barrie Kosky hat die drei Namen ausgewählt. Sie stehen für das Ganze, das die Nazis an diesem Ort vernichtet haben. Das Metropol-Theater war ein intellektuelles und künstlerisches Zentrum der Stadt, und Kosky hat von Anfang an seine Intendanz der Aufgabe gewidmet, die Komische Oper wieder zu einem solchen Zentrum zu machen.
Er, der auch nur als genialer Regisseur an allen Opernhäusern der Welt Furore machen könnte, hat schon viel dafür getan. Das Metropol hat sein politisches Exil auch in der DDR nicht verlassen können. Walter Felsenstein und sein Nachfolger Harry Kupfer wollten andere Akzente setzen. Operetten, für die das Haus einst so geliebt wurde, sind zwar auch immer mal aufgeführt worden.
Nach der Wende hat ihnen Andreas Homoki sogar einen festen Platz zugewiesen. Aber erst Kosky hatte den Mut, Paul Abraham, den verfemten Juden, an die Behrensstraße zurück zu holen mit einer extrem opulenten, und deswegen etwas schwerfälligen Inszenierung der für den Berliner Stil typischen Revue „Ball im Savoy“.
Andere Opernhäuser spielen lieber Weihnachtsmärchen
Es folgte „Clivia“ von Nico Dostal, leider von den Schweizer Pfisters veralbert. Zur Tradition geworden sind inzwischen die konzertanten Weihnachtsaufführungen Kalmanscher Perlen – andere Opernhäuser spielen lieber Weihnachtsmärchen. Grandioser Höhepunkt in dieser Saison war dann Koskys eigene Version von Offenbachs „Die schöne Helena“.
Was aber vergangenen Freitag nach der Einweihung der Stolpersteine erstmals zu sehen war, geht weit über solche Traditionspflege hinaus. Mit dem amerikanischen Wahlberliner Adam Benzwi, Klavierbegleiter, Arrangeur und Professor an der UdK, hat Kosky eine neue Version des Stücks „Eine Frau, die weiß, was sie will“ entwickelt, das der Komponist Oscar Straus schon selbst nicht „Operette“, sondern „Musikalische Komödie“ genannt hat.
Französisches Vaudeville und Chanson
Das ist es in der Tat, und sein Saisonstart mit Offenbach hat Kosky vielleicht besonders deutlich die Quellen gezeigt, aus denen der Wiener Bankierssohn Straus (mit einem „s“) geschöpft hat. Sie liegen im französischen Vaudeville und dem Chanson. Eines davon, „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“, hat in einer grauenvoll brutalisierten Version von Zarah Leander sogar den Krieg überlebt. Jetzt steht der korrumpierte Longseller wieder im Kontext, in den er gehört.
Der Text von Alfred Grünwald nach einem ebenfalls französischen Vorbild ist ein scharf gepfefferter Diskurs über Liebe, Lust und Lüge. Mutter und Tochter verlieben sich übers Kreuz in entweder reiche oder hübsche Männer mäßiger Intelligenz. Natürlich kriegen die Frauen alles geregelt, „mit ein bisschen Gefühl und viel Verstand“, wie die Mutter singt, die eine umschwärmte Operetten-Diva in Paris ist und uns daher darüber aufklärt, dass sie ihre „Hemmungen fest im Griff“ habe.
In der Uraufführung 1932 im Metropol hat Fritzi Massary diese Rolle gesungen. Aber das muss man nicht wissen, weil es Kosky nicht ums Andenken geht. Er hat alle 30 Rollen des Originals auf Dagmar Manzel und Max Hopp verteilt. Das Ergebnis ist ein 90 Minuten langer Hochseilakt darstellerischer Artistik auf einem schmalen Laufsteg vor dem roten Vorhang. Manchmal müssen sie zwei Kostüme gleichzeitig tragen.
Die große Kunst des Metropol ist wieder
Man weiß nicht, ob man mehr lachen oder staunen soll. Hopp ist eine gewaltige Dragqueen als Tochter und ein halbes Dutzend männlicher Partygäste, Manzel ist die Mutter, ihr Verehrer und ein paar weitere Nebenmänner. Die Verwandlungen dauern Sekunden hinter einer Tür. Sie ist das einzige Requisit der Bühne, vor der das Orchester gut sichtbar die Musik von Oscar Straus spielt: Sparsam instrumentiert und kühl entlarvt auch sie jede Sentimentalität als Heuchelei.
„Eine Frau, die weiß, was sie will“, Komische Oper Berlin, nächste Aufführungen: 5., 8.2, 10.3
So fröhlich und leicht dieses Traumspiel ist, sein politisches Gewicht kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Die Woche hatte begonnen mit dem Gedenken an die Befreiung von Auschwitz. Sie ging zu Ende, als hätte es die Nazis nie gegeben. Befreites Lachen füllt den Saal. Die Dummheit ist besiegt. Die große Kunst des Metropol ist wieder da mit all ihrem Glanz und Witz, und mit ihrem Spott und Hohn gegen die Lügner aller Klassen. Sie wird bleiben.
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