Kim, der Krieg und die Kampfrhetorik

DROHUNG Der Ton zwischen Nord- und Südkorea wird immer schärfer. Nun droht die südkoreanische Präsidentin mit massiver Vergeltung

„Wir sind nicht nervös, weil wir diese Drohungen aus dem Norden gewohnt sind“

EIN PASSANT IN SEOUL

AUS PEKING FELIX LEE

Ein Land im Kriegszustand sieht anders aus. Erst am Wochenende erklärte Nordkoreas Regime dem verfeindeten Süden der koreanischen Halbinsel den Krieg und kündigte zum wiederholten Male Militärschläge an. Unter anderem drohte Pjöngjang auch damit, den gemeinsam betriebenen Industriepark Kaesong im nordkoreanischen Grenzgebiet zu schließen, auf dem seit 2004 rund 120 südkoreanische Unternehmen mehr als 50.000 Nordkoreaner beschäftigen.

Doch am Montag war auf dem Gelände alles wie gehabt: Hunderte zumeist südkoreanische Manager passierten wie gewohnt die Grenze und nahmen ihre Arbeit auf. Im Kaesong-Komplex habe es keine Probleme gegeben, bestätigte am Abend ein Sprecher des südkoreanischen Vereinigungsministeriums.

Dabei ist die Rhetorik in diesen Tagen so scharf wie seit vielen Jahren nicht. Nachdem das nordkoreanische Regime seit Wochen gegen Südkorea und die USA hetzt, Raketen auf den Süden richtet, sein Militär in Einsatzbereitschaft versetzt und am Wochenende eben auch den Kriegszustand erklärte, schießt nun auch Südkorea verbal zurück. Staatspräsidentin Park Geun Hye wies ihre Armee am Montag an, auf jeden Angriff des Nordens „mit aller Härte“ zu reagieren und „politische Abwägungen außer Acht zu lassen“. Noch vor wenigen Wochen hatte die frisch ins Amt gekommene Präsidentin versprochen, sich verstärkt um ein besseres Verhältnis zum Norden zu bemühen.

Ihr Verteidigungsminister Kim Kwan Jin warnt nun, dass Südkorea im Fall einer Attacke präventiv die Atomanlagen und Raketenstellungen Pjöngjangs angreifen werde. Die Lage auf der koreanische Halbinsel hat sich in den vergangenen zwei Monaten zugespitzt, nachdem die Vereinten Nationen als Reaktion auf einen dritten unterirdischen Atomwaffentest Mitte Februar die Sanktionen gegen Nordkorea verschärft hatten.

Hinter Nordkoreas Kriegsrhetorik steckt nach Einschätzungen von Beobachtern auch innenpolitisches Kalkül. Der wahrscheinlich gerade mal 30-jährige Kim Jong Un ist erst seit 15 Monaten als „oberster Führer“ der Demokratischen Volksrepublik Nordkoreas im Amt. Intern soll es schon einiges Machtgerangel gegeben haben. So hat Kim angeblich im Frühjahr 2012 mehrere ranghohe Militärs erschießen lassen – offiziell weil sie seinem verstorbenen Vater nicht ausreichend Ehre erwiesen hätten.

In Pjöngjang ist am Montag das Scheinparlament zur alljährlichen Frühlingsversammlung zusammengekommen. Für den jungen Kim ist der Auftritt auf der Sitzung aber auch wichtig, um innerhalb der Kommunistischen Partei Stärke zu demonstrieren. Auch deshalb ließ er am Sonntag noch einmal verkünden, dass das Atomwaffenprogramm „niemals verhandelbar“ sei. Man werde sich nicht entwaffnen, solange es „Imperialisten“ und eine nukleare Bedrohung von außen gebe.

Tatsächlich zeigen sich Südkorea und die USA seit dem Osterwochenende so alarmiert wie seit Wochen nicht. Die USA haben am Samstag mehrere Tarnkampfflugzeuge vom Typ F-22 von Japan auf den südkoreanischen Luftwaffenstützpunkt Osan verlegt. Offiziell heißt es, sie sollten lediglich an den seit Anfang März anhaltenden gemeinsamen Militärmanövern mit Südkorea teilnehmen und stünden nicht im Zusammenhang mit den jüngsten Drohungen.

Aber offensichtlich wächst unter den Alliierten die Nervosität. Am Freitag hatten südkoreanische Medien unter Berufung auf Militärkreise berichtet, dass an den Raketenstützpunkten in Nordkorea seit einigen Tagen auffällige Bewegungen zu beobachten seien. Sowohl die USA als auch Südkoreas Führung hatten bis Ende der vergangenen Woche noch gelassen auf die Hasstiraden aus Pjöngjang reagiert. Sie stellten „keine wirklich neue Drohung“ dar, hieß es vergangenen Donnerstag noch in einer offiziellen Stellungnahme in Seoul.

Der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, sagte, die „kriegstreiberische Rhetorik Pjöngjangs“ verstärke allenfalls Nordkoreas internationale Isolation. Technisch sei Nordkorea gar nicht imstande, die USA anzugreifen. „Wir sind in der Lage und bereit, unsere Interessen in der Region zu verteidigen.“

Zu einer solchen Einschätzung kommt zwar auch Narushige Michichita, Militärexperte vom japanischen National Graduate Institute for Policy Studies: Nordkorea habe bislang interkontinentale Raketen noch nicht erfolgreich getestet. Militärziele in Japan und Südkorea, allen voran die Hauptstadt Seoul könnten nordkoreanische Mittelstreckenraketen aber durchaus erreichen.

Michichita hält es für möglich, dass das Kim-Regime wie schon 2010 einen kleinen Angriff an der koreanischen Westküste wagt. Damals kamen 50 südkoreanische Soldaten ums Leben. Eine erneute Attacke dieser Größenordnung würde provozieren, aber dann doch nicht so gewaltig ausfallen, dass die USA mit aller Macht militärisch angreifen.

Auf den Straßen in Südkoreas Hauptstadt Seoul haben sich die Menschen am Montag weitgehend unbeeindruckt gezeigt. „Das Ausland denkt, wir sind nervös und bereiten uns auf Krieg vor“, wird ein Passant auf CNN zitiert. „Wir sind aber nicht nervös, weil wir diese Drohungen aus dem Norden gewohnt sind.“ Seoul liegt nur eine Autostunde von der nordkoreanischen Grenze entfernt.

So recht scheinen aber auch die Nordkoreaner nicht an den Ausbruch eines Krieges zu glauben. Nicht nur dass der Betrieb auf dem Industriegelände Kaesong weiterläuft. Trotz der aufgeladenen Stimmung hat auch Nordkoreas staatliche Fluggesellschaft Air Koryo erst vor Kurzem die Zahl ihrer Flüge ins Ausland deutlich aufgestockt. Sie rechnet offensichtlich mit mehr Touristenreisen nach Pjöngjang. Kriegsrhetorik hin oder her – das Leben auf beiden Seiten der innerkoreanischen Grenze scheint normal weiterzulaufen.