mitschriften aus der letzten reihe (fünf)
: Der wütende Eros der Disziplin

Irgendwann an diesem Abend kommt man dann doch auf dieses leidige Thema zu sprechen: Ob er konservativ sei, fragt ein Zuhörer Udo Di Fabio, der in der Katholischen Akademie über den „Eros der Freiheit“ spricht. Konservativ, sagt Di Fabio, das sei eine dieser Schubladen, in die er als CDU-Anhänger oft gesteckt werde. Eigentlich aber bezeichne er sich als bürgerlich. Er verteidige nicht die Klassengesellschaft, sondern nur die bürgerliche Idee: Man müsse sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Von nichts komme eben nichts.

Di Fabio nahm sein Leben auch wirklich in die Hand. Sein italienischer Großvater zog 1920 ins Ruhrgebiet. Di Fabio selbst wuchs als Sohn eines Arbeiters auf und holte sein Abitur nach. Er wurde in Jura und Soziologie promoviert und ist heute Verfassungsrichter. Er sei progressiv und – was die Befürwortung der Chancengleichheit anbetrifft – durchaus auch sozialdemokratisch, sagt er.

Von Chancengleichheit könne heute keine Rede sein, gerade dann nicht, wenn man sich die katastrophalen Umstände ansehe, unter denen manche Kinder aufwachsen. Ginge es nach Di Fabio, sollte man jedes vierjährige Kind untersuchen. Stelle man gravierende Defizite in der Sprache, der Motorik oder dem Verhalten fest, sollten die Eltern verpflichtet werden, das Kind in die Vorschule zu schicken. Dass Kinder Regeln brauchen und Eltern auch Pflichten haben, erklärt der vierfache Vater sogleich an der eigenen Familie: Sein Sohn habe einen Computer, der sich nach einer Stunde selbst ausschalte; das Passwort habe nur der Vater. Die Computerspiele werden auch kontrolliert – anfangs sehr zum Missfallen seines Sohnes, inzwischen habe er es aber akzeptiert, so Di Fabio.

Di Fabios Denken dreht sich um den Begriff der Freiheit, und so setzt er gleich zu einem Exkurs durch das Grundgesetz an. Vom Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit spreche Artikel 2, doch im Laufe der Jahre „haben wir es zu einem Auffanggrundrecht degenerieren lassen“, sagt Di Fabio. Absolute Freiheit ohne Bildung, Arbeit und Pflichten sei nicht erstrebenswert. Freiheit bedeute nicht völliges Alleinsein: Frei zu sein bedeute, freiwillig Bindungen eingehen zu können. Wahre Freiheit erlange man nur durch Selbstdisziplin und Bildung, denn nur der, der Zusammenhänge bewerten und Alternativen sehen könne, habe die Fähigkeit, sich den Herausforderungen der Gesellschaft stellen zu können.

Die meisten Zuhörer sind 60 Jahre alt oder älter; die jungen Leute, die sich in den Saal verirrt haben, kann man an einer Hand abzählen. Di Fabio argumentiert leidenschaftlich, wenn nicht sogar energisch. Doch man weiß nicht, ob man Angst bekommen sollte vor so viel Kraft und Wut, die einem da vom Pult entgegenschlägt. Zwar sei es richtig gewesen, dass die 68er die einengenden Strukturen von Familien bekämpften, in denen der Vater allein entschied und seiner Frau und den Kindern so die Freiheit genommen habe. Diese neu gewonnene Freiheit wurde aber nicht genutzt. Eine Rückkehr zur „sittlichen Verantwortung“ hätte stattfinden müssen; so aber habe die Gesellschaft ihre Mitte verloren. Gerade Familien, so argumentiert Di Fabio, sollten besonders geschützt werden. „Kinder müssen prämiert werden“, erklärt er donnernd. Nun schreit Di Fabio fast und ballt die Faust. Ein Mikrofon hätte er gewiss nicht nötig. KATHRIN KLETTE

Eine Bildungskolumne – in Zeiten von Wissensgesellschaft und strategischer Selbstbewirtschaftung ein Muss. Immer mittwochs im Zweiwochenrhythmus – bis zum Semesterende