Präzise Sonnenmessung in der Steinzeit

Pünktlich zur Wintersonnenwende am 21. Dezember wird das älteste bekannte Sonnenobservatorium der Welt eröffnet: in Goseck, südlich von Halle

Es bleiben Rätsel: Warum gab es auch ein Nordtor? Und was sollten die Rinderschädel?

Ein Anblick wie vor 7.000 Jahren: Schwach wird die Sonne durch das Tor in der Palisadenwand funzeln und damit anzeigen, dass der kürzeste Tag des Jahres gekommen ist. Pünktlich am 21. Dezember öffnet das rekonstruierte Sonnenobservatorium in Goseck. Es liegt südlich von Halle auf einem Plateau über der Saale und ist das älteste bekannte Observatorium der Welt – noch sehr viel älter als Stonehenge in Südengland.

Die Kreisanlage aus der Jungsteinzeit hat einen Durchmesser von 75 Metern und drei Tore. Klar ist, dass die beiden Südtore den Sonnenauf- und -untergang am 21. Dezember markieren. Doch was ist mit dem Nordtor? „Das hat keine erkennbare astronomische Bedeutung“, glaubt Wolfhard Schlosser aus Bochum. Der Astronomie-Professor befasst sich eigentlich mit Weltraumerkundungen, hat aber nebenher auch Goseck genau vermessen. Er ist beeindruckt von dem Steinzeitmonument, das etwa 4.800 v. Chr. entstand: „Die Palisaden sind sehr präzise ausgerichtet.“

Die Erbauer konnten jedoch nicht nur die Wintersonnenwende berechnen – sondern auch ihr Frühjahrsfest am 23. April sowie die Sommersonnenwende am 21. Juni. Dafür schufen sie spezielle „Visiereinrichtungen“: schmale Schlitze im inneren Pfostenkreis. An den Südtoren fanden die Archäologen zudem „Unmengen von Rinderschädeln“, wie sich Schlosser erinnert. „Vielleicht wurde damit das Sternbild des Stiers gefeiert, das damals im Süden stand.“

Dennoch bleibt das Monument ein Rätsel: „Die Sonnenbahn lässt sich auch viel einfacher beobachten“, sagt Heinrich Wunderlich, Archäochemiker am Landesamt für Archäologie in Halle. „Da reichen zwei Holzpflöcke.“ Daher nehmen die Archäologen an, dass die Kreisanlage nur nebenbei ein Observatorium war – und auch als Kultstätte, Richtplatz oder Markt diente. Die Akustik funktionierte jedenfalls ausgezeichnet, wie der Nachbau zeigt. Auch ohne Lautsprecher ist jedes Wort in dem weiten Rund zu verstehen.

1991 hatten Luftbildarchäologen dunkel verfärbte Kreise auf einem Feld nicht weit vom Schloss Goseck entdeckt. Solche „Kreisgrabenanlagen“ sind jedoch nicht spektakulär. Zwischen England und den Karpaten kommen sie zu Hunderten vor. Doch die Spuren dieser Anlage schienen besonders gut erhalten zu sein. Also startete die Universität Halle eine „Lehrgrabung mit Studenten“, wie sich Wunderlich erinnert. Zunächst ohne große Erwartungen. Doch dann tauchte die innere Pfostenreihe auf – das astronomische Interesse der Archäologen erwachte.

Zudem hatte man inzwischen nur rund 20 Kilometer weiter die „Himmelsscheibe“ von Nebra entdeckt. Auch sie markiert Winter- und Sonnenwende. Allerdings ist sie über 3.000 Jahre jünger als das Sonnenobservatorium in Goseck und stammt aus der Bronzezeit. „Trotzdem zeigt die Himmelscheibe keine Weiterentwicklung in der Astronomie“, urteilt Schlosser. „Wie in Goseck waren es dort normale Bauern, die ihre Bauernregeln hatten und die Sonne feiern wollten.“ ULRIKE HERRMANN