piwik no script img

Verzicht auf SelbstbefriedigungHände weg!

Onanieren bekommt wieder ein schlechtes Image. Viele junge Männer verzichten freiwillig darauf – in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Der Slogan der Fapstronauten: Bekomm dein Leben wieder in den Griff. Bild: photocase/madochab

Selbstbefriedigung ist schädlich. Es gibt Ideen, die kommen nie aus der Mode. Es gibt einen Haufen junger Männer, die das meinen und die darauf bauen, dass sie mit dem Verzicht auf Selbstbefriedigung ihr Leben neu ordnen können. Genannt wird diese Community von Abstinenten NoFap. Fap kommt von to fap oder fapping und bedeutet: masturbieren.

Der Slogan der Fapstronauten, so nennen sie sich selbst, lautet: „Get a new grip on life“ – Bekomm dein Leben wieder in den Griff. In den Foren von reddit, dort wo NoFap seinen Anfang fand, gibt es fast 150.000 Fapstronauten.

In den Foren erzählen die Fapstronauten davon, wie viel besser es ihnen ohne Masturbation und ohne Pornografie geht. Sie versuchen auszubrechen aus einem Zirkel von PMO – Porno, Masturbation, Orgasmus. Dafür verzichten sie auf alle drei dieser Dinge. Denn diese Dinge sind für die Fapstronauten untrennbar miteinander verbunden. Keine Masturbation ohne Porno, also ohne Porno kein Orgasmus. NoFap wirkt wie das Selbsthilfeprogramm einer Generation, die mit Internetpornografie aufgewachsen ist.

Bemerkenswert sind die Erfahrungsberichte. In den Foren schreiben die jungen (und alten) Männer von Erlösung. Davon, dass ihre „sozialen Ängste verschwinden“, dass sie sich „lebendig und voller Energie“ fühlten. Sie berichten, dass ihre Erektionsprobleme verschwunden seien und dass sie sich endlich Frauen anzusprechen trauten.

Hendrik ist 33 Jahre alt und studiert Englisch und Sport auf Lehramt. Er heißt eigentlich anders; und wie er aussieht, lässt sich auch nicht sagen. Er möchte nur am Telefon sprechen. Hendrik sagt, er habe schon immer zu Pornos masturbiert. „Wenn ich abends nach Hause gekommen bin, war vielleicht nicht mein erster, aber auf jeden Fall mein dritter Gedanke: Porno.“ Es war nie anders, und es wurde zur Gewohnheit. „Ich habe Pornos nicht geguckt, wenn ich Lust verspürte. Ich habe sie geguckt, um mir Lust zu machen, und dann zu masturbieren.“

Heilung durch Enthaltsamkeit

Vor einiger Zeit bemerkte Hendrik, dass er immer wieder Probleme hatte, wenn er mit Frauen schlief. Er bekam keine Erektion; und wenn er eine bekam, hatte er keinen Orgasmus. Eines Tages googelte Hendrik „Masturbation und Impotenz“ und fand NoFap. Die vielen Foreneinträge versprachen Heilung. Wenn er nur 90 Tage lang auf Pornos und Masturbation verzichtete, würde es ihm besser gehen. 90 Tage bis zur Erlösung.

Die Fapstronauten sind nicht religiös. Die Verdammnis der Masturbation war nie nur ein Privileg der Gläubigen. Den Fapstronauten geht es um ihre „psychische und physische Gesundheit“, nicht um ihre Seelen. Dass Masturbation medizinisch schädlich ist, ist tatsächlich eine Idee der Aufklärung.

Diese Idee beginnt im Jahre 1712 und einem Buch mit dem Titel „Onania oder die abscheuliche Sünde der Selbstbeschmutzung“. Die Onania war das Werk eines Quacksalbers, aber es verbreitete sich auf dem ganzen Kontinent und wurde in alle europäischen Sprachen übersetzt. So fand die Idee, dass Masturbation krank mache, ihren Weg in den Mainstream. Bis dahin hatten die Kirchen das Monopol darauf, vor Masturbation zu warnen. Die Bibel bot genug Belege. Die Kirche verdammte die Selbstbefriedigung als Untat gegen Gott. Schlimm genug. Doch plötzlich war sie auch eine Untat gegenüber der eigenen Gesundheit.

Gedöns-taz

Gedöns ist Umwelt, ist, was wir essen, wie wir reden, uns kleiden. Wie wir wohnen, lernen, lieben, arbeiten. Kinder sind Gedöns, Homos, Ausländer, Alte. Tiere sowieso. Alles also jenseits der „harten Themen“. Die taz macht drei Wochen Gedöns, jeden Tag vier Seiten. Am Kiosk, eKiosk oder direkt im Probe-Abo. Und der Höhepunkt folgt dann am 25. April: der große Gedöns-Kongress in Berlin, das taz.lab 2015.

Als der Schweizer Arzt Simon-August Tissod seine Dissertation mit dem Titel „Die Onanie. Abhandlung über Krankheiten durch Masturbation“ veröffentlichte, war das Schicksal der Selbstbefriedigung besiegelt. Nur Wenige im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts konnten masturbieren, ohne das Gefühl zu haben, etwas Ungesundes zu tun.

Von der Kirche zu NoFap

Die Aufklärung führte nicht nur einen medizinischen Kampf gegen die Selbstbefriedigung, sondern auch einen moralischen. Pädagogik und Philosophie schlossen sich an. Jean-Jacques Rousseau verurteilte die Selbstbefriedigung genauso wie Immanuel Kant. Masturbation war Ausdruck von Disziplinlosigkeit, ein Vergnügen ohne Nutzen. Wer masturbierte, war asozial, koppelte sich von der Gesellschaft ab. Niemals dürfte sich die Jugend dem unendlichen Fundus an sexuellen Reizen hingeben, welche die eigene Fantasie zur Verfügung stellte.

Von da aus ist es nicht mehr weit zu NoFap. Dessen Grundidee ist durch und durch wissenschaftlich: NoFap begann auf reddit mit der Diskussion über eine wissenschaftliche Studie. Sie besagte, dass der Testosteronspiegel eines Mannes nach sieben Tagen Abstinenz seinen Höhepunkt erreichen würde. Die Ersten probierten es aus, und NoFap war geboren.

Heute wird jeder, der im Internet NoFap findet, auf Gary Wilson verwiesen. Gary Wilson ist der Wissenschaftler der Nichtwichser. Auf seiner Webseite erläutert er seine These: Das menschliche Gehirn sei nicht bereit für die Menge an leicht zugänglicher Hardcore-Pornografie, die es heutzutage gibt. Erregung entsteht laut Wilson im männlichen Gehirn durch Neuheit. Bekommt das Gehirn einen neuen sexuellen Reiz, stößt es Dopamin aus. Das Internet ermögliche einen unendlichen Fundus an „Neuheit“, wodurch gerade junge Männer auf einer Dopaminwelle reiten würden. Dieser Rausch würde das Belohnungssystem im Gehirn praktisch ausleiern, die physiologischen und psychologischen Folgen seien: Einsamkeit, krankhafte Schüchternheit, Depression oder Beziehungsunfähigkeit.

Auch Hendrik fand als Erstes Gary Wilson. „Als ich das Video sah, traf mich der Blitz“, sagt er. „Endlich habe ich verstanden, was das Problem ist.“

Wilson beschreibt auf seiner Webseite auch einen Weg der Heilung: Wer nur lange genug auf Pornografie verzichte, der könne sein Belohnungssystem reparieren. Die Fapstronauten nennen das Reboot. Sie setzen die Festplatte ihrer Sexualität neu auf. Verschiedene Seiten im Internet bieten Begleitung für einen solchen Reboot an. Oft nennen sie es Challenge. Hendrik absolviert eine.

Diese Challenges meinen aber nicht nur den Verzicht auf Pornografie, sondern eben auch auf Selbstbefriedigung, und hier beginnt das Missverständnis. Gary Wilson schreibt selbst auf seiner Webseite: „Die meisten Debatten über Pornosucht entwickeln sich zu Debatten über Masturbation. Das ist sinnlos und verschmutzt unsere Debatte.“

NoFap statt NoPorn

Aber genau darum geht es bei NoFap. Es heißt ja nicht NoPorn. Die Fapstronauten reden über Masturbation, nicht über Pornografie. Sie erzählen davon, dass sie den Rechner zuklappen und das Leben entdecken. Und so, wie man das Problem generalisiert, lässt sich auch die Heilung generalisieren. Einfach aufhören, dann klappt es schon.

Das ist auch nachvollziehbar. Denn NoFap und all die vielen Websites, die den Trend aufnehmen, versprechen etwas. Verstärkt durch das Internet, durch Foren, Facebook und Hunderte Memes verspricht NoFap ein besseres Leben: mehr Produktivität, mehr Energie, mehr Frauen. Und das alles ist nur einen Handgriff entfernt. Oder eben keinen Handgriff.

Aber von der Vorstellung, dass Masturbation einem Energie raube, bis zu der, sie mache krank, ist es nur ein kurzer Weg. Einer schreibt: „Ich suche nach einem medizinischen Hinweis für den Zusammenhang von Masturbation und Rückenschmerzen. Kann mir jemand helfen?“ Und so schnell ist man wieder im 18. Jahrhundert.

Die Sache ist kompliziert. Das ist Sex immer. Der Zugang zu einem unendlichen Archiv von Internetpornografie verändert die Sexualität der Menschen. Das ist eine berechtigte Sorge. Um sich davon zu befreien, verzichten die Leute auf einen essenziellen Teil einer Sexualität.

Hendrik hat seine 90 Tage durchgehalten. Leicht war es nicht, aber er freute sich auf ein neues Sexleben. Tatsächlich lernte er relativ schnell eine Frau kennen. Sie gingen aus und miteinander nach Hause. Als sie gemeinsam nackt im Bett lagen, hatte Hendrik wieder keine Erektion. Frustriert ging er nach Hause. Am nächsten Tag schaute er einen Porno und holte sich einen runter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen