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Demontage der Illusionsmaschine

POSTDRAMATIK Theater ist Arbeit: Jan Fabre – Bildender Künstler, Autor, Theaterregisseur, Choreograf und Designer – zeigt im Rahmen des Festivals „Precarious Bodies“ zwei Re-Inszenierungen seiner frühen Werke

Vieles erscheint im Rückspiegel der Geschichte deutlich radikaler als heute

VON ANNETT JAENSCH

Ein Begriff gerinnt seit den nuller Jahren für immer mehr Menschen zum Grundgefühl, wenn es um Arbeits- und Lebensumstände geht: das Prekäre. Mit der Veranstaltungsreihe „Precarious Bodies“ im HAU rückt das Phänomen in den Kontext des Körperlichen. Was macht die Sprache des prekären Körpers aus? Aus welchen Blickwinkeln lässt sich die öffentliche und politische Dimension von Körpern betrachten?

Die künstlerische Leiterin Annemie Vanackere hat für das Festival unter anderem den flämischen Allroundkünstler Jan Fabre nach Berlin geholt. Von ihm sind gleich zwei Re-Enactments von Stücken zu sehen, die in den 80er Jahren in der Theaterwelt einschlugen wie eine Bombe, da sie bis dato übliche Sehgewohnheiten vollkommen auf den Kopf stellten.

Der Antwerpener, Jahrgang 1958, hat so ziemlich alles beackert als Maler, Bildender Künstler, Autor, Theater- und Opernregisseur, Choreograf und Designer. Er zählt zur ersten Garde des postdramatischen Theaters, ihm eilt aber auch der Ruf des Berserkers voraus. Er verbrannte in seinen „Money Performances“ Geldnoten. Er ließ Tänzer in „The Crying Body“ auf die Bühne urinieren. Provokation hat bei ihm Methode. Nach eigener Aussage sei das gewollte Provozieren jedoch nie Ausgangsmotiv seiner Arbeit, vielmehr spiele das Betreten von Terra incognita für ihn eine zentrale Rolle.

Auch „This is theatre like it was to be expected and foreseen“ (1982/2012), dessen Re-Inszenierung im vergangenen Jahr erstmals beim Wiener Festival „ImPulsTanz“ auf der Bühne zu erleben war und nun auch im HAU zu sehen ist, bietet alles andere als vorhersehbare Theaterkost. Fabres Kreation erstreckt sich über die epische Länge von acht Stunden. Das Pensum eines Arbeitstages. Und so will es Fabre auch verstanden wissen: Theater ist Arbeit. Von der Decke baumeln Fleischerhaken, eine Schildkröte mit Kerze auf dem Panzer kriecht durchs Bild, eine Nackte hantiert mit einem Bunsenbrenner, Darsteller lecken Joghurt vom Boden, ein Paar seift sich mit Rasierschaum ein. Ohne Unterlass wird eine furiose Bilderschau durch den Durchlauferhitzer gejagt, Beschleunigung und kalkulierter Stillstand gehören dabei gleichermaßen zum Output.

„The Power of Theatrical Madness“ (1984/2012) zielt noch stärker auf die Demontage der Illusionsmaschine Theater. In eklektischem Irrwitz versammelt das Ensemble Anspielungen auf die Kunst- und Theatergeschichte. Gleichzeitig werden Mechanismen der Macht sichtbar, wenn die Darsteller einem System der Disziplin unterworfen sind. In einer Schlüsselszene versucht eine Frau zurück auf die Bühne zu gelangen, ein Mann hindert sie daran, der Umgang wird immer brutaler, bis sie die Jahreszahl „1876“ richtig einordnen kann: das Jahr der Uraufführung von Wagners „Ring des Nibelungen“. Keine Narration, nur Szenen, Echtzeit statt gespielte Zeit, Realität statt Fiktion, echter Raum statt repräsentierter: Das war und ist Fabres Masterplan zum Aufbrechen der konventionellen Oberfläche des Theaters. Nicht umsonst nennt er seine Darsteller Krieger der Schönheit - warriors of beauty. Ihr exzessives Verausgaben bis zur Erschöpfung lässt Wahrhaftigkeit schmerzhaft durchscheinen.

Darsteller lecken Joghurt vom Boden, ein Paar seift sich mit Rasierschaum ein

Hier schließt sich der Kreis zu „Precarious Bodies“: Die Verwundbarkeit von Körpern wird deutlich, wenn innere und äußere Anforderungen übermächtig werden. Man mag sich natürlich fragen, ob dieses Re-Enactment vor allem eins ist: ein Aufwärmen des Mythos mit ungewissem Wirkungsradius.

Inzwischen sind schließlich 30 Jahre ins Land gegangen. Die Zeitreise lohnt in jedem Fall, denn der Vergleich von Körperbildern damals und heute wird möglich. Und vieles erscheint im Rückspiegel der Geschichte deutlich radikaler als im gegenwärtigen Kunstbetrieb, der beim Schielen auf den Geschmack des Mainstreams oftmals die Risikobereitschaft verliert. Das erklärt vielleicht auch, dass die Vertreter radikaler Performancekunst gerade wieder Zulauf erleben. So pilgerten zu Marina Abramović, der „Grandmother of Performance Art“, 750.000 Menschen ins New Yorker MoMA, um beim Happening „The Artist Is Present“ dabei zu sein. Oder eben Altmeister Jan Fabre.

Bei „Precarious Bodies“ ebenfalls zu sehen: der Videokünstler Markus Öhrn, der mit der Neuinterpretation von Fabres „Étant donnés“ Fragen zur Instrumentalisierung des weiblichen Körpers aufwirft; die „Untitled Feminist Show“, die Geschlechterbilder hinterfragt, und der mosambikanische Choreograf Panaibra Gabriel Canda, der den postkolonialen Körper erforscht.

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