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Agrargifte in GewässernHöhere Werte als erlaubt

Pflanzenschutzmittel verschmutzen Gewässer weltweit, fanden Wissenschaftler heraus. Auch in Deutschland ist die Artenvielfalt bedroht.

Farblich schön anzusehen: Doch die Artenvielfalt geht gegen null. Bild: dpa

BERLIN taz | Nein, für Menschen bestehe in Deutschland „keine direkte Gefahr“, das Trinkwasser sei gut überwacht. Ralf Schulz, Professor für Umweltwissenschaften an der Universität Koblenz-Landau, betont dies noch einmal. Aber die „Befunde“, so sagt er, „seien schon ein Knaller.“ Zusammen mit seinem Kollegen Sebastian Stehle hat Schulz erstmals untersucht, wie oft sich Insektenkiller, die Landwirte auf ihren Feldern versprühen, in Flüssen, Teichen und Bächen wiederfinden – und ob die erlaubten Schwellenwerte überschritten werden.

Schulz sieht eine „signifikante Gefahr“, er meint, dass die „Zulassungen mangelhaft“ seien und Bauern sich möglicherweise nicht an die Auflagen für das Versprühen von Ackergiften hielten. Genauer gesagt war die Konzentration an Insektiziden dort, wo sie nachgewiesen wurden, weltweit in der Hälfte aller Fälle höher als erlaubt. Schulz und Stehle haben 20.000 wissenschaftliche Artikel der letzten 50 Jahre und 840 Studien zu Gewässerverschmutzung aus gut 70 Ländern ausgewertet.

Die Gifte gelangen in Bäche und Seen und gefährden Libellen oder Eintagsfliegen, Bachflohkrebse oder Muscheln. Allein auf dem deutschen Markt wurden im Jahr 2013 laut dem Industrieverband Agrar Insektizide im Wert von 144 Millionen Euro umgesetzt. Das ist fast eine Verdopplung im Vergleich zum Jahr 2000. Die Beratungsfirma PhillipsMcDougall schätzt den weltweiten Pflanzenschutzmarkt, inklusive der vielen Unkrautvernichtungsmittel, auf satte 52,7 Milliarden US-Dollar.

Die Ackergifte sollen eigentlich auf dem Feld zersetzt werden, neuere Wirkstoffe umweltverträglicher sein als alte. Das von den Herstellern entworfene Bild aber stimme nicht, meint Schulz. In den 60er Jahren seien größere Mengen eingesetzt worden, doch die modernen Insektizide seien „weitaus giftiger“ als damals.

Aufwändige Zulassungsverfahren

Der Chemiekonzern BASF äußert sich nicht zu den Befunden. Doch vor einer Zulassung der Mittel, so meint ein Sprecher, werde „stets umfassend geprüft, ob der Wirkstoff nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik weiterhin genehmigt werden kann“. Die Anforderungen dabei seien gestiegen. Der Deutsche Bauernverband nannte das Zulassungsverfahren hierzulande „weltweit vorbildlich“.

Allerdings sind Gewässer in Ländern mit vermeintlich strenger Umweltgesetzgebung ebenso belastet. Auch in der EU oder in den USA hätten die sehr aufwendigen Zulassungsverfahren, die es seit etwa 25 Jahren gibt, „keine messbare Verringerung“ der Belastung mit Insektiziden gebracht, sagt Schulz. Die Behörden gingen hierzulande von falschen Annahmen aus – etwa, dass Bauern nur in einem vorgegebenen Abstand zu einem Gewässer Chemie spritzen. Doch die Abstände reichten nicht, viele Bauern hielten sich womöglich nicht an die Vorschrift.

In Deutschland lässt das Bundesamt für Verbraucherschutz Pflanzenschutzmittel zu, die Bewertung der Umweltrisiken übernimmt das Umweltbundesamt. Dessen Präsidentin Maria Krautzberger stützt Schulz Forderungen. Sie sagte der taz: „Gerade kleine Gewässer sind zum Teil viel zu hoch mit Pestiziden belastet.“ Amt arbeite deshalb an einer besseren Überwachung. Zudem müssten die Methoden bei den Zulassungsverfahren überprüft werden – und stärker mit der realen Situation in Einklang gebracht werden.

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4 Kommentare

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  • Bei uns im Hasetal, einer Region mit zahlreichen Gewässern und intensiver Landwirtschaft,- Wer hält sich denn hier überhaupt an die Vorschriften der guten fachlichen Praxis zur Anwendund von Pestiziden Z.B. bezüglich Schadensschwellen, geeignete Mittelwahl,Abdriftvorschriften wie Fahrgeschwindigkeit, Windgeschwindigkeit und Abstandsregelungen zur Umgebung,die nicht unmittelbar zum Zielgebiet gehört. Und wieviele Mittel erreichen überhaupt ihr Zielgebiet oder das Zielobjekt, können sie doch oft nur über Umwege durch Boden, Luft und Planzenbestandteile dorthin gelangen.Auf diesem Weg treten in der Realität Verluste und Verlagerungen auf ,die überhaupt nicht ernsthaft einkalkuliert werden bei der Zulassung von Pestiziden.Im übigen ist nur die Honigbiene( ein kleiner Teil der von Pestiziden betroffener relevanter Organismen ) einigermaßen ausreichend untersucht Bei allen anderen ist die Wissenschaft auf Vermutungen angewiesen.In Fachzeitschrifetn ,wie z.B. die "Land und Forst" in Niedersachsen gibt es seit Jahrzehnten eine gezielte intensive Verortung und suggestive Verquickung mit Fachbeitägen in Form von oft halbseitigen Werbeannoncen für Pestizide,die den Methoden einer Gehirnwäsche zur Ehre gereichen,Pestizide verharmlosen und zum unreflektierten Einsatz auffordern.

    • @Jandebuur:

      Volle Zustimmung!

      Die meisten Glyphosate werden in der Landwirtschaft nicht nach guter fachlicher Praxis eingesetzt. Die für eine ordnungsgemäße Landwirtschaft zuständigen Behörden sehen stillschweigend weg, wenn im Frühjahr und Herbst inzwischen fast alle Ackerflächen vor der Neuaussat oder Neubepflanzung mit glyphosathaltigen Totalherbiziden in gelb oder rotbraun leuchtende ökologische Wüsten verwandelt werden. Honigbienen und andere Insekten fliegen die frisch gespritzten Felder auf der Suche nach dem für sie lebensnotwendigen Wasser an. Die Bienen und ihre mit dieser Spritzbrühe versorgte Brut sterben dann an diesem Totalherbizid, das im Regelfall bisher nicht als bienengefährlich eingestuft ist. Ein Bienenvolk benötigt in der Phase der größten Brutaktivität von April bis Juni bis zu drei Liter Wasser pro Tag. Der Tatsache, dass Bienen nicht nur beim Sammeln von Nektar und Pollen, sondern auch beim Sammeln von Wasser mit den toxischen Stoffen der Pflanzenbehandlungsmittel konfrontiert werden, müßte bei der amtlichen Zulassung nun endlich auch Rechnung getragen werden. Bevor der langwierige Prozess eines Glyphosatverbots durchgestanden ist, wäre es jetzt schon möglich, den Verbrauch dieser Mittel mit einer Landbewirtschaftung nach guter fachlicher Praxis ganz erheblich zu reduzieren. Die Perversion der jetzigen Praxis wird beispielhaft deutlich, wenn ein mit einem Totalherbizid behandelter Acker mit einem relativ hoch subventionierten ökologischen Alibi-Blühstreifen umsäumt wird.

  • Welche Artenvielfalt? Gestern Südpfalz - bestes Insektenwetter, keine Bienen an den Obstbäumen, weder Honig- noch Wildbienen.

    Wir haben inzwischen Artenarmut auch bei Amphibien und Vögeln. Der Karren ist an die Wand gefahren und zwar gründlich!

  • Sinnlose Schönfärberei einer fatalen Entwicklung! Die Laborresultate sind wie üblich unbrachbar, da hier keine zweckmäßige Probenahmetechnik verwendet wird. Volumenproben reichen immer noch nicht aus...schön dass das kaum jemand merkt. So kann die Lobby weiterwursteln.