„Die Inszenierung des Haushalts ist wichtig“

Ob der Bürgerhaushalt ein Erfolg wird, hängt sehr stark davon ab, ob die Bürger auch ernst genommen werden und tatsächlich mitreden, sagt der Partizipations-Experte Eo Müller und verweist auf das Beispiel Berlin-Lichtenberg

„Es frustiert, wenn der Bürgermeister nur um Kommentare zum fertigen Haushalt bittet“

taz: Immer mehr Kommunen in NRW verabschieden sich vom Modellprojekt Bürgerhaushalt. Welche Gründe gibt es dafür?

E.O. Müller: Ob ein Bürgerhaushalt Erfolg hat, hängt eben sehr stark davon ab, wie weit das partizipative Element entwickelt ist.

Was bedeutet das?

Wenn eine Kommune nur an ein oder zwei Abenden einlädt und der Bürgermeister dann um Kommentare zu einem fertigen Haushalt bittet, ist klar, dass die Bürger frustriert sind. Wenn sie nicht das Gefühl haben, dass sie sich maßgebend äußern können, dann empfinden sie einen solchen Bürgerhaushalt bestenfalls noch als Spielwiese. In Berlin-Lichtenberg begleiten die Bürger das gesamte Haushaltsjahr in mehreren Versammlungen, der Prozess ist mit der Verwaltung verzahnt. Das funktioniert gut.

Warum sollten sich die Bürger für den Bürgerhaushalt interessieren, wenn sie ohnehin nur beraten, nicht aber entscheiden dürfen?

Die Inszenierung eines Bürgerhaushalts ist ganz wichtig. Das Projekt sollte in den Zusammenhang des Gesamtanliegens einer „Bürgerkommune“ gestellt werden nach dem Motto: „Wir erweitern unsere Demokratie.“ Nicht nur an wenigen Abenden, sondern zum Beispiel auch in den Wochenblättern und übers Intenet muss über den Bürgerhaushalt informiert werden. Zum Zweiten geht es darum, was passiert, wenn der Bürger sein Votum abgegeben hat. Dafür muss es klare Regelungen geben. Im baden-württembergischen Nürtingen haben die Obleute des Bürgerhaushaltsprozesses im Rat Fraktionsstatus. Sie haben zwar kein Stimmrecht, aber dafür ein Rederecht und können direkt Anträge formulieren. Am Ende kann aber trotzdem die Meinung des Parlaments gegen die Meinung der Bürger stehen.

Und dann entscheidet das Parlament.

Ja, bislang entscheidet dann das Parlament, denn es handelt sich um eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie. Aber es ist zu überlegen, ob in solchen Konflikten nicht ein Bürgerentscheid angewendet werden sollte.

Haushaltsfragen sind aber zumindest in NRW von Bürgerentscheiden ausgenommen.

Das muss geändert werden. Eine Gemeinde ist übrigens frei, in ihrer Gemeindeordnung sehr liberal mit dieser Frage umzugehen.

Als weiteren Grund für den Ausstieg der Städte aus dem Projekt nennen die Verwaltungen den mangelnden finanziellen Spielraum. Also: Macht der Bürgerhaushalt Sinn, wenn es nichts abzustimmen gibt?

Man kann sich den Zeitpunkt nicht aussuchen. Selbst wenn die Politik wegen der leeren Kassen jetzt in Kalamitäten kommt und den Bürgerhaushalt nur zur Legitimation gebraucht, sollte man die Gelegenheit nutzen und das Instrument verankern. Es geht um grundsätzliche demokratische Rechte.

In Burscheid kamen nur zwei Leute zum Treffen mit der Verwaltung. Wann ist denn eine kritische Masse erreicht, ab der sich die Diskussion lohnt?

Das ist nicht in einer Prozentzahl festzuhalten. Wenn in einer 20.000-Einwohner-Stadt nur zwei Leute kommen, bin ich sicher, dass die Sache nicht ausreichend publik gemacht wurde. Wenn der Bürgermeister einlädt, und vielleicht auch weitere öffentliche Persönlichkeiten, dann kommen die Leute auch. Außerdem sollte der Haushaltsentwurf im Vorfeld hinreichend transparent und für den Bürger nachvollziehbar verbreitet werden.

Weckt das Wort Bürgerhaushalt nicht viel zu hohe Erwartungen, weil Viele davon ausgehen, dass sie tatsächlich über die Verteilung der Mittel entscheiden könnten?

Das glaube ich nicht. Es geht ja immer nur um den frei verfügbaren Teil des Haushaltes. Diese 10 bis 20 Prozent, über die im Bürgerhaushalt gesprochen wird, ist genau der Anteil, über den das Stadtparlament entscheiden kann. Es kommt darauf an, dass die Bürger merken, dass ihre Kompetenz wirklich gefragt ist.

INTERVIEW: SEBASTIAN SEDLMAYR