Blicke aufs Schauen

Durchweg spannendes Spiel mit der Authentizität von Sichtbarem und scheinbar Verborgenem: In der Ausstellung „Gute Aussichten“ gehen 13 junge deutsche Fotokünstler bis an die Grenzen ihres Mediums – und darüber hinaus

von Karin Liebe

Mit offenen Mündern starren die Menschen in den Himmel. Was sehen sie? Ein brennendes Flugzeug, das sich in ein Hochhaus bohrt? Seit dem 11. September 2001 ist der ängstliche Blick nach oben besetzt mit Bildern des Terrors. Doch Martin Willner hat seine verschwommenen Videostills auf einer Kirmes aufgenommen. Was die Besucher in den Bann zieht, sind Bungeespringer.

Die Macht der Bilder, das Spiel mit der vermeintlichen Authentizität und das Spannungsfeld zwischen Sichtbarem und Verborgenem beschäftigt viele der 13 Fotografen, die jetzt im Haus der Photographie ihre Diplomarbeiten zeigen. Unter dem Titel Gute Aussichten – Junge deutsche Fotografie 2005/2006 tourt diese Talentschau zum zweiten Mal durch Deutschland, danach wird sie in Marokko, Algerien und den USA zu sehen sein. Initiiert hat den bundesdeutschen Wettbewerb, der ohne Preisgelder und staatliche Förderung auskommt und ein Netzwerk für junge Fotografen auswerfen soll, Josefine Raab.

Die diesjährige Auswahl der vierköpfigen Jury zeigt, wie reflektiert junge deutsche Fotografen mit ihrem Medium umgehen, aber auch, wie sie spielerisch und souverän mit seinen Konventionen brechen. Insbesondere die Frauen tun sich mit Grenzüberschreitungen hervor. Claudia Christoffels Computerprints bestehen aus Schwarzweißkopien von vorgefundenen Fotos, die sie teilweise mit Klebeband abdeckt. So wie schwarze Balken oft zur Anonymisierung in den Medien dienen, so blockieren auch diese Leerstellen den voyeuristischen Blick. Teils ragen die Klebstreifen über den Bildrand hinaus, sprengen das übliche rechteckige bis quadratische Format.

Noch stärker von gewohnten Präsentationsformen weicht Kathi Schröders Arbeit aus der Serie „Die Suche nach Stiller 2005“ ab. Inspiriert von Max Frischs Roman Stiller, zeigt sie das fragmentierte Subjekt der Moderne als papierne Baustelle. Wiederum Schwarzweißkopien von Fotos hat die in Berlin lebende Künstlerin in Streifen geschnitten und so akribisch ineinander verflochten, dass die Arbeit eher an einen Wandbehang erinnert als an eine Fotografie. Und noch eine Berlinerin hat sich literarisch inspirieren lassen und das Genre gesprengt: Delia Kellers Kurzfilm Die Eisbären beruht auf Marie Luise Kaschnitz‘ gleichnamiger Erzählung und vermischt so gekonnt wie irritierend Phantasie und Realität.

Also kaum noch klassische Landschafts- und Industriefotografie? Doch, die gibt es auch noch. Hier sind die Männer am Werk. Peter Wildangers Arbeit – erstaunlicherweise die einzige digital aufgenommene – beschäftigt sich mit den Schnittstellen von Außen- und Innenräumen. Christian Wolter zeigt postindustrielle Landschaften im wiedervereinigten Deutschland, die zwischen Industriebrache und wild sprießender Natur changieren. Und Henning Rogge hat Aussichtspunkte in deutschen Landschaften abgelichtet. Dass sein Blick auf die in die Ferne Schauenden geprägt ist von feiner Ironie, erschließt sich erst bei genauerem Hinsehen. Damit steht er nicht allein da: Plakativ-eingängig ist keine dieser durchweg spannenden Arbeiten, die alle eine eigene Handschrift zeigen. Gute Aussichten also für die junge deutsche Fotografie.

Di–So 11–18 Uhr, Haus der Photographie, Deichtorhallen; bis 26. 1.