ORANIENSTRASSE: Kampf der Kulturen
Das Milch & Zucker in der Oranienstraße ist am Vormittag noch halb leer. Die orangefarbenen Plastikstühle und Knautschsofas beherbergen Mittdreißiger in betont unprätentiösem Schick samt obligatorischem Laptop-Latte-Gespann. Nur ganz hinten in der Ecke sitzen auf 60er-Jahre Plastiksesseln drei Männer beim Kaffee, die irgendwie anders sind und auch so riechen.
„Drei Kaffee für 10 Euro und dann nicht mal ein ordentlicher Service!“, röhrt der Erste, ein Mittfünfziger mit verklebtem Rauschebart. „Ihr Chichi-Zeug hier könnense sich sonst wohin schieben“, fügt der Zweite hinzu. Der Dritte, jung und stark nach Alkohol müffelnd, will lieber über Sex reden. „Ich steh nun mal auf Frauen. Ich versteh sie zwar nicht, aber das Sexuelle, wisst ihr, das ist echt der Hammer“, erklärt er ohne erkennbaren Zusammenhang zum vorher Gesagten. Dann muss er pinkeln, doch er kriegt die Toilettentür nicht auf. „Ziehen!“ brüllen seine beiden Weggenossen unisono, bevor sie sich zum Rauchen brav in den Schneesturm begeben. Vom Klo zurück, vermisst der Sexgott seine Kameraden und nimmt sich eine Zeitung. Er bricht in wieherndes Gelächter aus und lässt die Frau am Nebentisch an seinem Fund teilhaben: „29-Jährige ersticht ihren Ehemann.“ „Sehr witzig“, sagt die Frau und vertieft sich wieder in ihren Laptop.
Die beiden anderen kommen zurück an den Tisch. „Hey Leute!“ plärrt der Junge, „ich weiß ja nicht, ob ihr intellektuell drauf seid, aber die SZ ist schon echt cool: 29-Jährige ersticht ihren Ehemann mit dem Küchenmesser!“ Artig lachen die beiden anderen. Der Junge mustert nachdenklich den einen seiner Kumpel. „Du bist, glaub ich, auch ganz cool. Wie heißt du?“ „Wolle“, antwortet Wolle. Die Frau am Nebentisch klappt ihren Laptop zu und geht. Den halbvollen Latte lässt sie stehen. ULLA ZIEMANN
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