Hausherr lässt Zimmerwirte allein

Adolf Muschg ist vorgestern als Präsident der Akademie der Künste zurückgetreten. Er wollte aus der Akademie ein gemeinsames Projekt machen – und scheiterte. Jetzt hofft er, dass wenigstens sein Rücktritt ein Zeichen setzt

Besinnlich wollte die Akademie der Künste das Jahr mit einer Weihnachtsfeier im alten Gebäude am Hanseatenweg ausklingen lassen. Dann kam die Bescherung ganz anders als gedacht: Selbst für die engsten Mitarbeiter völlig überraschend verkündete am Donnerstag Adolf Muschg seinen Rücktritt vom Amt des Präsidenten. Nachvollziehbar ist der Schritt nicht allen. Denn der Kampf um eine neue Akademiesatzung war noch gar nicht entschieden.

Jetzt herrscht Aufregung im Haus; Muschg selbst allerdings wirkt sehr gelassen, ja fast befreit, Pfeife rauchend und mit einem verschmitzen Blitzen in den Augen. Es macht ihm sichtlich Vergnügen, die Akademie endlich auf Trab zu bringen – das Künstliche seiner Entscheidung ist ihm bewusst. Muschg sagte, er wolle mit seinem Rücktritt einen Hilferuf lancieren: Er habe festgestellt, dass es starker Mittel bedürfe, wenn man die zum großen Teil inaktiven Mitglieder der Akademie mobilisieren wolle. Durch die Dramatisierung, erklärte er, hoffe er, „dass das Problem unübersehbar und als Chance wahrgenommen werde“.

Das Problem – ein chronischer Konflikt zwischen dem Präsidenten und den sechs Direktoren der einzelnen Akademie-Kunstsparten, an dem sich auch schon Muschgs Vorgänger die Zähne ausbissen. Die Direktoren haben traditionell das Recht, das Programm für ihre Sparte zu bestimmen; diese Autonomie verteidigen sie zäh gegen alle Versuche, spartenübergreifend Programme auszuarbeiten. Eigentlich wollte Muschg, besonders mit dem Umzug ins neue Haus am Pariser Platz, die Akademie wieder zu einem Ort der Unruhe machen – einer Institution, die sich in die Belange der Gesellschaft und Politik einmischt, berät, mahnt und vor allem immer wieder durch künstlerische Interventionen überrascht. Deswegen wollte Muschg, wie er sagt, „die verschiedenen Künste im Haus zu einem gemeinsamen Projekt vereinigen, das Zeichen setzt und die Ressourcen bündelt“. Ihm habe ein Berliner Centre Pompidou am Pariser Platz vorgeschwebt. Der Separatismus der einzelnen Kunstsparten im Haus habe aber dazu geführt, dass das in den letzten Jahren nicht gelungen sei.

Muschg verglich gestern die Akademie mit einem Haus mit sechs Zimmern, in dem jeder Direktor „für sein Zimmer sorgt, für die Möblierung – und je mehr da reingehängt wird, desto besser“. Bissig fügte er hinzu: „Ein Direktor kann nicht Richter in eigener Sache sein.“ Das habe zu einem Dilettantismus geführt, dem er versucht habe mit professioneller Projektkoordination ein Ende zu setzen. Jetzt aber habe er keine Lust mehr, den Kopf hinzuhalten für die fortgesetzten Fehlschläge, die er nicht zu verantworten habe. Der Vorschlag des Senats für eine reformierte Satzung hätte, so Muschg, in seiner Umsetzung eine „vollkommene Restauration der alten Zustände“ bedeutet. Das sei dann der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe.

Der erstaunlich heitere Muschg zeigt aber in diesen Tagen auch eine Kehrseite: Wehmut, Trauer und Groll beschlichen ihn darüber, dass es ihm nicht gelungen sei, die Akademie-Mitglieder zu überzeugen und mit seinem Reformeifer anzustecken. „Solange ich gewissermaßen das Brett vor dem Kopf des Senats bin“, sagte er, werde dieser nicht „selbst die Einsicht in das Notwendige“ haben. Der Familienstreit ist jetzt ein öffentlicher geworden. Die Akademie mag sich blamiert und bloßgestellt sehen – Muschg hat ihr aber über den Rücktritt den Rückweg in ein „Weiter so“ verbaut. Wie die Akademie unter diesen Umständen einen neuen Präsidenten finden will, ist noch ein großes Rätsel. Denn dieses Amt ist nicht nur ein ehrendes, sondern vor allem auch nur ein ehrenamtliches. TOMAS FITZEL