PHILIPP MAUSSHARDT ÜBER KLATSCHDAS STÄDTCHEN METZINGEN WIRD GESTÜRMT: VON SCHNÄPPCHENJÄGERN
: Die Hemd-und-Hosen-Touristen

Auf der anderen Hälfte des Globus traf ich vor nicht langer Zeit einen Menschen, dem erzählte ich, ich käme aus Tübingen, Germany, das läge in der Nähe von Stuttgart. Hölderlin. Hegel. Jens. Der Indonesier überlegte eine Weile, dann sagte er, er sei auch einmal wenige Tage in Deutschland gewesen. In München, in Köln und dann noch in einem kleinen Städtchen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnere, aber das so ähnlich geklungen habe wie „Messing“. Er habe dort mehrere Anzüge, Hemden und Schuhe der Marke „Hugo Boss“ gekauft.

Metzingen liegt im Ermstal, und der Dichter Robert Gernhardt schrieb vor dreißig Jahren einmal angewidert, nachdem er dort war: „Dich will ich loben Hässliches: du hast etwas Verlässliches“. Das Wort „Outletcenter“ kannte der Dichter noch nicht. Nur die Firma Boss verkaufte auch damals schon in einer alten Ziegelsteinfabrik Anzüge mit kleinen Webfehlern. Wie es heute dort aussieht? Ich brauche es nicht zu beschreiben, es waren ja alle schon dort. Zwei Millionen Besucher jedes Jahr. Alles muss raus. Gleich hinter Escada, Gucci und Prada verkauft jetzt auch die Metzgerei Schmid ihre Maultaschen zum „Schnäppchenpreis“. Der lokale Hörfunk warnt jeden Samstag vor Staus rund um Metzingen (22.000 Einwohner).

Bei Parfumverpackungen, auf denen heute noch mit Sitz in „New York, Paris, London“ geworben wird, ist größte Vorsicht angebracht. Diese Firmen scheinen nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Wo hingegen Metzingen, Kirchentellinsfurt oder Nördlingen draufsteht: unbedingt kaufen! Das sind die Marken von morgen. In der „großen Kreisstadt“ Nördlingen (Regierungsbezirk Schwaben) treffen sich dieser Tage wieder die Vorstandsgattinnen aus der ganzen Republik an den Wühltischen von „Strenesse“ und balgen sich um Wintermäntel zum Alles-muss-raus-Preis. Gestern traf ich bei einem Freund ünne Madamm aus Paris, die extra dafür angereist kam. Sie war mit Tüten beladen und trug Glückseligkeit im Gesicht. Heute fliegt sie zurück in die französische Modemetropole und wird ihren Freundinnen vom Einkaufsparadies im Landkreis Nördlingen berichten.

Vor Jahren noch hatte die Firma Hugo Boss in Metzingen nicht einmal ein Schild aufgestellt, wo es denn auf dem weitläufigen Firmengelände zum Fabrikverkauf geht. Das war Absicht und sollte den Jagdtrieb der Kunden noch weiter reizen. Hatten sie endlich den Eingang gefunden, war es, wie wenn dem Jäger nach stundenlangem Warten das Reh vor die Flinte läuft. Er kann nur noch abdrücken. In diesem Fall allerdings mit der Kreditkarte.

Vielleicht merkt man zwischen den Zeilen, dass hier ein Betroffener schreibt. Zweimal im Jahr fährt meine Frau mit ihren Freundinnen nach Nördlingen, obwohl ich kein Vorstandsvorsitzender bin. Sie sind dann den ganzen Tag unterwegs und kommen am Abend erschöpft nachhause. Dann zeigen sie ihre Jagdtrophäen, die immer gleichen T-Shirts, Hosen und Mäntel. Wenigstens bezahlen sie selbst.

Immerhin profitiert sogar die altehrwürdige Universitätsstadt Tübingen inzwischen von den Hemd-und-Hosen-Touristen. Seit Metzingen boomt auch die Zahl derjenigen, die nach dem Einkauf noch die paar Kilometer zum Hölderlinturm fahren, um sich vom anstrengenden Einkauf zu erholen.

In den Krankenakten des wahnsinnig gewordenen Dichters steht übrigens, dass er ständig Hemden zerrissen habe. PHILIPP MAUSSHARDT

Hinweis:KLATSCH Wo kaufen Sie ein? kolumne@taz.de Morgen: Martin Unfried über ÖKOSEX