Mehr als nur ein Handkuss für Angela

Bundeskanzlerin Merkel ist bei ihrem ersten Auftritt auf der EU-Bühne eine gefragte Gesprächspartnerin. Denn alle erwarten, dass es ihr gelingt, in der Debatte über den EU-Haushalt zwischen den Streithähnen Tony Blair und Jacques Chirac zu vermitteln

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Es gibt ein Bild, das Angela Merkels ersten großen Auftritt in Brüssel gut beschreibt. Es ist Donnerstag, kurz nach 18 Uhr, fast alle Delegationen sind im Konferenzsaal des Tagungsgebäudes eingetroffen. Es geht zu wie bei einer Party, deren Teilnehmer sich nicht besonders gut kennen. Einige studieren aus Verlegenheit die Tischkärtchen, und wenn sie den Namen ihres eigenen Landes gefunden haben, setzen sie sich brav hin und blicken in die Akten.

Die Kamera streift suchend über das Gewusel. Wo steckt Angela Merkel? Jacques Chirac hatte sie vorab zu einem kurzen Tête-à-tête gebeten und sorgt nun dafür, dass sich die Sache lange hinzieht. Das soll den anderen signalisieren: Auch unter neuer Leitung stützt Deutschland die französische Position. Schließlich schiebt er sie in den Saal, Arm besitzergreifend um sie gelegt, als wolle er sagen: Finger weg! Das ist meine Angela. Merkel versucht zu entwischen, um endlich auch ein paar anderen Regierungschefs die Hand zu drücken. Doch Chirac fängt sie noch mal ein und drückt ihr einen seiner gefürchteten Handküsse auf. Dann drängt sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier dazwischen und rettet die Kanzlerin.

Schon am nächsten Morgen wird deutlich, dass die Kanzlerin mit ihrem sachlichen Blick auf Probleme und ihrem diplomatischen Geschick überraschend schnell eine wichtige Akteurin in dem Geschacher um den EU-Haushalt geworden ist. Natürlich liegt das auch daran, dass Deutschland am meisten zum Budget beisteuert. Zeigt der größte Nettozahler Kompromissbereitschaft, müssen sich auch die anderen bewegen. Doch man kann die Sache verschieden anfangen. Zum Beispiel so, wie Gerhard Schröder es vor sieben Jahren bei seinem ersten Gipfel tat. Damals polterte er zum Wohlgefallen der Stammtische, Deutschland sei nicht der Zahlmeister Europas. Die Zeiten, wo man sich politische Gleichberechtigung hätte mit D-Mark erkaufen müssen, seien vorbei. Auch Merkel betont vor laufenden Kameras, sie sei in Brüssel, um deutsche Interessen zu vertreten. Man dürfe die Belange der ostdeutschen Bundesländer nicht vergessen. Doch im kleineren Kreis fällt auf, dass die Fragen der deutschen Journalisten oft deutlich chauvinistischer ausfallen als die Antworten der Kanzlerin. Manchmal meint man Jean-Claude Juncker zu hören, denn die Botschaft ist ähnlich: Es gibt für Deutschland und Europa Wichtigeres als die eine oder andere Milliarde, verteilt auf sieben Jahre. Und schließlich, am Freitagnachmittag mündet diese Haltung dann auch in eine konkreten Initiative: Wie aus deutschen Delegationskreisen verlautet, schlug Merkel vor die EU-Gesamtausgaben gegenüber dem britischen Plan um 13,2 Milliarden auf 862,5 Milliarden Euro anzuheben.

Auch Helmut Kohl hatte seine Europapolitik auf diese Überzeugung aufgebaut. Doch ähnlich wie Juncker hatte er sich daran gewöhnt, manchen Irrsinn wie zum Beispiel das Agrarbudget als unabänderlich hinzunehmen. Es war allerdings sein Nachfolger Schröder, der die den Problemen Europas nicht mehr angemessene Ausgabenstruktur zusammen mit Chirac für ein weiteres Jahrzehnt in Beton goss. Mit den Folgen muss nun auch Merkel leben, wie sie gelegentlich diskret anmerkt.

Mit den Folgen muss aber auch die britische Präsidentschaft leben. Man könne doch Tony Blair nicht vorwerfen, dass er bei Forschung und ländlicher Entwicklung spare, wenn alle anderen Sparmöglichkeiten blockiert seien, sagt Merkel entwaffnend logisch. Es ist wahrscheinlich dieser kühle Blick auf Zusammenhänge, der sie gestern zur begehrten Gesprächspartnerin sämtlicher Streithähne machte.