„MEISTER, DOPPELTER LOHN ODER NICHTS BEWEGT SICH“
: Ein Umzug in Moskau

VON KLAUS-HELGE DONAT

NEBENSACHEN AUS MOSKAU

Umzug ist schlimmer als ein Hausbrand, behauptet ein russisches Sprichwort. Wer die Erfahrung nicht selbst macht, könnte hinter der kompromisslosen Volksweisheit den üblichen Maximalismus vermuten. Mit Möbelpacker Sergej und einem tadschikischen Assistenten fing es an. Sergej hatte sich darauf eingestellt, nur Tafelsilber zu transportieren, und war mit einem viel zu kleinem Wagen angerückt. Überhaupt war Sergej kein einfacher Möbelpacker, sondern Logistikexperte. Dies sei zu sperrig, jenes untransportabel, dies wiederum zu schwer, monierte er. Nach Stunden Inspektion forderte er schließlich einen größeren Transporter an. Ein halber Tag war vertan, dafür aber eine Erkenntnis gewonnen. Der Fahrer eines Umzugwagens gehört in Russland nicht zur Trägerbrigade, er packt nicht mit an.

Es half nichts, ein tragfähigeres Team musste her. Am Morgen steht Karim mit drei Freunden vor der Tür. Die kirgisischen Gastarbeiter aus dem Fergana-Tal hauen richtig rein. Sie murren nicht einmal, als im 12. Stock der Fahrstuhl ausfällt und der Wartungsdienst auf „morgen“ vertröstet. In der neuen Wohnung geht es nur sechs Etagen hinauf. Als wir dort eintreffen, versagt auch hier der Lift. „Stecken geblieben?“ erkundigt sich der Dispatcher nach dem x-ten Hilferuf und bricht den Kontakt ab. Ohne zu protestieren, hüpfen die Kirgisen wie Bergziegen die Treppen hinauf. Für das Klavier reicht die Kraft am Ende nicht mehr, über Nacht bleibt es im Eingang stehen und versetzt die Mieter in Aufruhr. Könnte es sich nicht um einen geschickt getarnten Sprengsatz handeln, bedrängen sie den Hausverwalter. Woher wissen die neuen Nachbarn eigentlich schon wieder, dass die Helfer aus Zentralasiens islamistischer Hochburg stammen? Die Zeiten, dass nur KGB-Angehörige in dem Haus wohnten, sind lange vorbei. Alexander Solschenizyn verlegte hier als NKWD-Häftling in den 1950ern noch Parkett für die Genossen.

Am nächsten Tag wiederholt sich das Spektakel. Den Packern ist der Missmut anzusehen. Einige Stunden schuften sie, dann droht Meuterei. „Meister, keine Lust mehr, doppelter Lohn oder nichts bewegt sich“, meint Karim. Eine Flasche Obstler besänftigt die Gemüter, ändert aber nichts an der Forderung. Es ist Silvesterabend gegen 17 Uhr. Halb Russland feiert bereits, der Rest versinkt demnächst in Trance. Zurück im alten Haus hat sich das Personal schon über die im Hausflur deponierten Reste hergemacht. Leiter, Gepäckträger und Werkzeug sind verschwunden. Vergiss es!, befiehlt ein Freund. Das Jahr geht zu Ende, war es nicht schon schrecklich genug? Recht hat er. Nur einen Hausbrand stelle ich mir noch schlimmer vor.