Die goldene Fassade

ZEITREISE Vom Übersee-Museum zur Boulevard-Bühne: Handelskunde-Abteilungsleiter Hartmut Roder hat ein Theaterstück über die „Goldenen Zwanziger“ geschrieben

Fünf Jahre wirtschaftlicher Entspannung zwischen 1924 und 1929 führten zu bemerkenswerten Leistungen in Kunst, Kultur und Wissenschaft

VON BRUNO STEINMANN

Die Weimarer Republik erscheint aus historischer Sicht als Periode ständiger Krisen. Die junge und zerbrechliche Demokratie wurde in Politik und Wirtschaft durch ständig wechselnde Minderheitsregierungen, Hyperinflation und Börsencrash sowie durch restaurative Tendenzen der gesellschaftlichen Eliten aufgerieben und bewegte sich kontinuierlich ihrem Ende entgegen.

Eine Ausnahme oder zumindest eine glamouröse Fassade stellten die sogenannten „Goldenen Zwanziger“ dar. Fünf Jahre wirtschaftlicher Entspannung zwischen 1924 und 1929 führten zu bemerkenswerten Leistungen in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Eingeläutet worden war jene Entwicklung durch die Einführung der Reichsmark, die die Hyperinflation beendete, und den als „aufgehende Dollarsonne“ bezeichneten Zustrom von US-Krediten. Das abrupte Ende markierte der Börsencrash der Wall Street am Schwarzen Donnerstag im Oktober 1929.

Der wirtschaftliche Aufschwung und das vielfältige kulturelle Leben sorgten, besonders in Berlin, in Teilen der Bevölkerung für eine äußerst optimistische Haltung gegenüber der Zukunft.

Dieser zeitgeschichtlich sehr interessanten Phase deutscher Vergangenheit widmet sich der Bremer Historiker Hartmut Roder derzeit auf unterschiedlichen Wegen. Der architekturhistorisch höchst spannende Himmelssaal im Haus Atlantik in der Böttcherstraße bietet am kommenden Dienstag um 16.30 Uhr die Bühne für den Vortrag „Die goldenen 20er Jahre in Bremen“. Zu den historischen Erläuterungen zeigt Roder eine Vielzahl an Fotografien und ermöglicht dem Publikum so, in die 1920er-Jahre in Bremen einzutauchen. So weit, so historikerkonform.

Deutlich weniger konventionell ist allerdings Roders Vorhaben, sein historisches Wissen über die Zeit der boomenden Varietés, Cabarets und Lichtspielhäuser mithilfe eines Theaterstücks zu verarbeiten. Das Stück „Die Goldenen Zwanziger – Von Kopf bis Fuß …“ hat der Historiker unter dem Pseudonym Gert Ferdinand veröffentlicht. Es ist noch bis zum Anfang Mai auf dem Theaterschiff Bremen zu sehen. Die Idee, ein im Berlin der „Goldenen Zwanziger“ verortetes „Schauspiel mit Musik“ zu schreiben, wurde dem Leiter der Abteilung Handelskunde des Überseemuseums von seiner Ehefrau, der Schauspielerin Mary C. Bernet, angetragen. Eine zeitgeschichtliche Lücke in der Theaterlandschaft zu schließen und zugleich Friedrich Hollaender (1896–1976), einem der wichtigsten Komponisten und Stückeschreiber der damaligen Zeit, die Ehre zu erweisen, war die reizvolle Aufgabe, der sich Roder alias Ferdinand stellte. Zuträglich für dieses rechercheintensive Projekt war Roders Affinität zu populärwissenschaftlichen Themen und einer gebrauchsorientierten Geschichtswissenschaft.

Bernet präsentiert die Lieder Hollaenders authentisch im Stil der Zwanzigerjahre und würde auch ansonsten in einem Film aus jenen Jahren eine gute Figur machen. Aus der Feder Hollaenders, der 1933 vor den Nazis ins Exil flüchten musste, stammen viele populäre Songs der damaligen Zeit. Einige davon sind höchst politisch wie „An allem sind die Juden schuld“. Bekannter wurde er allerdings durch Schlager wie „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ und „Ich bin die fesche Lola“, die neben Paul Linckes „Das ist die Berliner Luft“ einen prominenten Platz in der Handlung einnehmen. Bernets Figur Veronika Biestermann und Arthur Herzfeld (gespielt von Christian Bartels) bilden ein Künstlerpaar, angelehnt an Hollaender und dessen erste Frau Blandine Ebinger. Sie sind die Hauptfiguren in Craig Simmons’ kurzweiliger Inszenierung, Christian Schliehe unterstützt die beiden souverän in verschiedenen Nebenrollen.

In Biestermann und Herzfeld verschränken sich individuelle Schicksale und historische Ereignisse. Ihr Leben ist ein ständiges Auf und Ab. Veronika Biestermann wird durch exzessive Kostümwechsel (17!) zur Chronistin der Zeit, auch, aber nicht nur in modischer Hinsicht. Die Karriere der beiden lässt sie von einer Berliner Varieté-Bühne zur nächsten tingeln, bis Arthur Herzfeld schließlich aufgrund seiner jüdischen Herkunft in die USA emigrieren muss, Veronika Biestermann aber bleibt in Deutschland. Als in der besonders eindrucksvollen Schlussszene der Gesang Veronikas langsam von singenden und marschierenden SA-Trupps übertönt wird, begreift das Publikum sehr schnell, welcher Couleur die Macht ist, die zukünftig den Ton in Berlin angeben wird.

■ Vortrag: Dienstag, 16.30 Uhr, Himmelssaal, Böttcherstraße, Eintritt frei; die nächsten Vorstellungen auf dem Theaterschiff: Mittwoch und Donnerstag, 20 Uhr