Die tickende Bombe gibt es nur in Lehrbüchern

Die UN-Anti-Folter-Konvention verbietet es eindeutig, in einem Prozess Aussagen zu verwenden, die unter Folter erpresst wurden

„Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn, gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde.“ Das ist einer der wesentlichen Artikel der UN-Anti-Folter-Konvention, die von 141 Staaten, inklusive Deutschland und den USA, ratifiziert wurde. Damit setzt die Konvention der internationalen Rechtshilfe und Geheimdienst-Zusammenarbeit deutliche Grenzen. Was im einen Staat erfoltert wurde, darf nicht in einem anderen – nicht folternden – Staat als Beweismittel benutzt werden.

Allerdings beantwortet die Konvention nicht alle Fragen. Verboten ist nur die Verwendung von Aussagen, die „nachweislich“ durch Folter herbeigeführt wurde. Was aber gilt, wenn der Folter-Zusammenhang nur wahrscheinlich ist oder nicht ausgeschlossen werden kann? Das englische House of Lords hat erst vor wenigen Tagen eine Antwort auf diese Frage gegeben. Danach muss die englische Regierung ausländische Quellen „so gründlich wie möglich“ daraufhin überprüfen, ob Aussagen unter Folter zustande kamen. Die englische Regierung hatte eine solche Prüfung für unnötig gehalten. Doch auch nach dem Gerichtsurteil muss die Blair-Regierung nicht zweifelsfrei ausschließen, dass eine Aussage unter Folter entstand, worauf ein Sprecher von Innenminister Charles Clarke erleichtert hinwies.

In Deutschland gibt es zu dieser Frage, soweit ersichtlich, noch keine Rechtsprechung. Es spricht jedoch manches dafür, dass deutsche Gerichte zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie das House of Lords kommen werden.

Das Verbot, erfolterte Aussagen zu verwenden, gilt nach der UN-Konvention für alle gerichtlichen und administrativen Verfahren, in denen es auf Beweise ankommt. Ganz eindeutig ist damit die Strafverfolgung gemeint. Ein Haftbefehl oder eine strafrechtliche Verurteilung für bereits begangene Taten darf nicht auf Folteraussagen gestützt werden.

Etwas komplexer ist die Situation bei der Abwehr künftiger Verfahren. Bei der in England üblichen vorsorglichen Internierung von vermeintlich gefährlichen Personen dürfen Folteraussagen ebenfalls nicht als Beweismittel benutzt werden. Das Gleiche gilt für die in Deutschland gängige Ausweisung gefährlicher Ausländer.

Wenn jedoch durch Folter in Syrien bekannt würde, dass im Kölner Dom eine Bombe versteckt ist, dürfte der Dom natürlich geräumt, die Bombe entschärft werden. Selbstverständlich rechtfertigt dies aber in keiner Weise, selbst zu foltern, andere zur Folter anzustiften oder dies stillschweigend zu billigen. Der Fall mit der tickenden Bombe tritt ohnehin vor allem in Lehrbüchern und weniger in der Praxis auf.

Praktisch relevanter dürfte sicherlich der Fall sein, dass im Ausland durch Folter Informationen erlangt werden, die deutsche Geheimdienste in ihre allgemeine Lagebeurteilung einfließen lassen wollen. Dies ist rechtlich bisher nicht explizit verboten. Wollte man ein solches Verbot konsequent umsetzen, müsste der nachrichtendienstliche Austausch mit allen ausländischen Diensten eingestellt werden, die weniger streng sind.

Und erstaunlich ist: Auch für Verhöre deutscher Sicherheitsdienste in ausländischen Gefängnissen gibt es bisher keine expliziten gesetzlichen Regeln.

CHRISTIAN RATH