VERSTREUTE ANIMAL-COLLECTIVE-MITGLIEDER TRIEBEN IHR UNWESEN IN BERLIN: UNABHÄNGIG VONEINANDER WAREN DEAKIN UND PANDA BEAR ZU GAST IN DER STADT: Unterwegs im schmutzigen Schnee
VON RENÉ HAMANN
Es war Donnerstagabend gegen zehn und das Madame Claude war voll. Wir trollten uns durch den allmählich nervenden Schnee in Richtung Tröstebiere im Mysliwska. Im Mme Claude, Lübbener Straße, einer Kellerkaschemme mit kleinem Clubraum, in dem früher einmal Karaokeboxen standen, sollte Deakin spielen, der vermisste Vierte vom Animal Collective. Deakin war für eine Weile untergetaucht, und die spannende Sache wäre gewesen, herauszufinden, was für Musik er jetzt macht, ob er noch anschlussfähig ist an die Elektronikexperimente seiner Mitstreiter, ob er bald wieder zur Band stößt, ob es bald wieder Konzerte in Komplettbesetzung geben wird.
Außerdem wäre spannend gewesen zu erfahren, ob Mitstreiter Panda Bear zu dem kleinen Gig aufgetaucht wäre. Panda Bear, eigentlich Noah Lennox, sollte am nächsten Abend im Hau 2 spielen, zur Eröffnung der großen „Life is Live“ Reihe, einer Reihe mit Theorie und Praxis rund um Musikkritik und Performance. Dafür hatten wir uns schon Karten organisiert, im Mme Claude ging dafür nichts mehr, voll, finito, Abmarsch.
Der Freitagabend im Hau war dann von großer Erwartungshaltung und kleinen Enttäuschungen geprägt. Den Vortrag von Mr. Frith hatten wir uns geschenkt, zum Konzert von Panda Bear und später Pantha Du Prince, ein Abend im Zeichen des Tiers, waren wir pünktlich erschienen. Zunächst ging es zu wie im Fußballstadion oder wie damals bei den ersten großen Elektronikveranstaltungen, beispielsweise im Kölner Stadtgarten, so um 1995. Die Veranstaltung war ausverkauft, trotzdem fanden sich viele Menschen ein, die noch versuchen wollten, irgendwie an Karten zu kommen. Es gab Security, die im Haus streng aufs Rauchverbot achtete. Es gab fleißige Helfer allerorten und eine Garderobe, die, große und gute Überraschung, nichts kostete. Es lebe das subventionierte Theater!
Wir waren durch einen Nebeneingang reingeschlüpft, hatten abgelegt und Bier gekauft, eine Reihe Subkulturprominenz gesehen und abgenickt und saßen nun auf den Stufen dieser tollen Theaterhalle mit tollen Nebeleffekten und keiner Rundumbeschallung, sehr angenehm, das. Irgendwann kam Panda Bear auf die Bühne, schnallte sich eine Gitarre um, die er wie eine Mischung aus Schutzschild und Schwert das Konzert über festhalten sollte, stellte sich hinter seine knopflastigen Gerätschaften und sang los.
Um es kurz zu machen: Es war schön, es rührte an, es touchierte Sehnsüchte, aber es war nicht so gut wie das Animal Collective in Gänze. Viele Tracks schienen unfertig. Ich weiß nicht, ob der Gegenbesuch von Deakin erfolgt ist, aber kurz war mir, als ob ich zwischen Deakin und Herrn Diederichsen d. Ä. gestanden hätte, aber das mag Einbildung gewesen sein. Nach den Gregorianischen Kindergesängen eines Manns, nach Panda Bear also, verpuffte dann einiges: DJ-Sets wie das von Pantha Du Prince hatte man 1995 bereits ähnlich erlebt; von dieser Art elektronischer Musik geht mittlerweile eine Ödnis aus, die man nicht einmal mehr mit Drogen betäuben möchte. Man möchte einfach nur noch mit Bier in der Vorhalle stehen, etwas reden und dann schnell verschwinden. Ging vielen so.
Am Samstag war der Schnee immer noch nicht weg, er passte aber zu dem Film, dem wir uns im unwirtlichsten Kino der Stadt, dem „Sputnik“ am Südstern, ansahen. „Das weiße Band“. Etwas spät, ich weiß, aber nicht zu spät. Wer diesen Aufklärungsfilm über das Unwesen der autoritären Erziehung, über die Abgründe von Familie, Gemeinde, Sexualität, Verdrängung etc. etc. mit sehr guten Schauspielerinnen und Schauspielern bislang verpasst hat, sollte das Versäumte unbedingt nachholen.
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