Weit mehr als der Blick über den Zaun

„Zuhause bei Bremer Architekten“ – der vierte Band der Schriftenreihe des Zentrum für Baukultur zeigt einen Querschnitt durch ein halbes Jahrzehnt gestalterische Freiheit. Doch nordisches Understatement steht nicht auf Pomp und großen Auftritt

Bremen taz ■ Ein wenig hat es etwas von Big Brother. In jedem Fall hat es mit Neugier zu tun, Neugier auf das Leben anderer, auf den Nahbereich der eigenen vier Wände. Und wo könnte das spannender sein als bei den Menschen, die in erster Linie dafür verantwortlich sind, wie andere wohnen? Die Ausstellung des Bremer Zentrum für Baukultur (b.zb) „Zu Hause bei Bremer Architekten“ gab 2004 genau diese Einblicke. Nun ist – mit reichlicher Verspätung – der Ausstellungskatalog bei Aschenbeck & Holsten erschienen. Und er ist mehr geworden als ein Buch über Häuser. Der Katalog ist ein Querschnitt durch die lokale Baukultur eines halben Jahrhunderts – und Blick in die bremische Seele zugleich.

Diese Preisgabe von Intimität war wohl der Hauptgrund, warum sich die Inititiatoren eine Reihe von Absagen einhandelten. Die einen wollten den privaten vom öffentlichen Aspekt ihres Schaffens strikt trennen, sagt der wissenschaftliche Leiter des b.zb und Herausgeber, Eberhard Syring. Für die anderen sei das eigene Haus dagegen die beste, weil gebaute Visitenkarte. 24 ArchitektInnen konnten die Studierenden des Fachbereichs Architektur an der Hochschule in ihrem Projekt letztlich überzeugen und „es waren nicht unbedingt die Vorgesehenen“, formuliert Syring vorsichtig. Mit dem Ergebnis zeigt er sich nun dennoch äußerst zufrieden.

Das geht Mitherausgeber und b.zb-Vorstandsmitglied Volker Plagemann genauso. Mit dem mittlerweile vierten Band ihrer Schriftenreihe innerhalb eines Jahres, wie er nicht ohne Stolz verkündet, wolle man eine größere Empfindlichkeit bei der Bremer Bevölkerung für die Architektur wecken. Solch ein Projekt werde auch die Phantasie von all jenen anregen, die nicht bauen, glaubt er. „Hier wird Neugierde befriedigt.“

In der Tat lassen die Architektinnen der Stadt mehr zu als den Blick über den Zaun. Dennoch hat es nichts Voyeuristisches, es sind in erster Linie meist steinerne Zeugnisse ihrer Zeit. Die funktionale Schlichtheit des Reihenhauses von Gerhard Müller-Menckens, erbaut im Jahr 1955, und das Baumhaus von Andreas Wenning (2003) bilden gewissermaßen die Klammer bremischer Wohnkultur. Typisch allerdings, dass Wennings Skurrilität lediglich sein Zweitwohnsitz ist. “Die Bremer Architektur ist eher zurückgenommen“, sagt Eberhard Syring und verweist damit auf nordisches Understatement.

Ludwig Almstadt, ehemaliger Leiter des Bremer Hochbauamtes, ist mit seinem schlichten Einfamilienhaus in Lesum (1962) so ein Beispiel, der 1978 verstorbene Architekt des Gewoba-Hochhauses, Martin Zill, mit seinem flachen Einfamilienhaus von 1958 ebenso. Doch auch der Nachwuchs steht meist nicht auf Pomp und großen Auftritt. Stephan Rosengart, 1962 geboren, hat sich einen Flachdachbungalow umgestaltet.

Überraschend ist das alles, legen die Bauwerke doch dafür Zeugnisse ab, wie jemand baut, wenn gestaltersich kaum Grenzen gesetzt sind. „Dem ganzen Star-Architekten-Zirkus stehen die Bremer skeptisch gegenüber“, bestärkt Volker Plagemann, der im vorgelegten Buch auch das Nachwort beisteuert. Auf ein spektakuläres Objekt will Kollege Syring dann doch hinweisen. Das falten werfende Wohnhaus von Hartmut Ayrle, ebenfalls Professor an der Bremer Hochschule. Der hat sich einen Traum verwirklicht und für sich und seine Familie das erste Haus mit textilem Dach und textiler Fassade errichtet. Allerdings in Moos am Bodensee. Achim Graf