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Tanz den Chucky-Hitler

Alles bis zur Kenntlichkeit entstellt: Ausgerechnet als Puppen stehen in der Revue „Helden des 20. Jahrhunderts“ an der Volksbühne die VIPs der letzten hundert Jahre gespenstisch gut wieder auf

VON PETER LAUDENBACH

Hitler ist süß. Hitler ist etwa einen Meter groß – und er versucht zu tanzen. Das Problem mit Hitler ist, dass er nicht tanzen kann. Okay, das ist nicht das einzige Problem. Hitler versucht auch zu singen, und zwar wie Herbert Grönemeyer. Man schaut dem kleinen Hitler voller Mitgefühl und Schaudern zu, unbarmherzig knödelt er sich durch Grönemeyers Repertoire.

Vielleicht hatte Adorno doch Recht: Nach dem Faschismus Gedichte zu schreiben ist barbarisch. Vor allem, wenn die Gedichte wie Grönemeyers Lieder davon künden, dass Männer „viel Zärtlichkeit“ brauchen. Das muss er sein, der berühmte Verfremdungseffekt, der alles „zur Kenntlichkeit entstellt“ (Brecht): den Führer, den Sänger und den authentisch röchelnden Gefühlskitsch, den die Deutschen für Pop halten. Die knödelnde Hitlerpuppe kehrt zusammen mit gut sechzig anderen zu Puppenformat geschrumpften historischen Persönlichkeiten in die Volksbühne zurück: Der Regisseur Tom Kühnel, ein mit Worten und Ideologien jonglierender Jürgen Kuttner und die geniale Puppenspielerin Suse Wächter lassen „Die Helden des Zwanzigsten Jahrhunderts“ in einer so komischen wie gespenstischen Revue an uns vorbeitänzeln.

Der Historiker Eric Hobsbawn brauchte knapp achthundert Seiten, um das vergangene Jahrhundert als „Zeitalter der Extreme“ zu beschreiben. An der Volksbühne geht das schneller und lustiger: In drei Stunden begegnen wir Marilyn Monroe und Stalin, Sigmund Freud und Helmuth Kohl, dem fünften Beatle und dem Kosmonauten Gagarin. Ein buntes Tableau, das Geschichte in Pop verwandelt: Mao, Goebbels, Malcolm X, Arafat und Kennedy – lauter Stabpuppen und Zitate ihrer selbst.

„Ich bin berühmter als Jesus“, räsoniert die Lennon-Puppe. „Na und, ich auch“, kontert Mickey Mouse. Lenin spielt Rockgitarre, Adenauer rät während der Kuba-Krise dem amerikanischen Präsidenten, die Russen vorsichtshalber „wegzuradieren“, Hitler träumt schlecht und fragt Sigmund Freud um Rat.

„Das 20. Jahrhundert ist ein abgeschlossenes Sammelgebiet. Das kann man jetzt einsortieren und ins Kästchen packen“, sagt Jürgen Kuttner auf die Frage, wie es zu diesem Abend kam. „Das Reizvolle an Puppen ist, dass eine Geschichtserzählung wieder spielbar wird. Wenn Bruno Ganz als Hitler auftritt, will er der beste Hitler-Darsteller aller Zeiten sein, und hinterher entschuldigt er sich dafür, dass er einen so schrecklichen Typen spielt. Eine Puppe hat solche Probleme nicht. Es ist eine Täuschung zu glauben, dass Puppen süß, klein und putzig sind. Die können eine bedrohliche oder ernsthafte Qualität kriegen.“

Mit dem Ableben Queen Victorias, die als kleine schwarze Dame lustig durch die Lüfte ins Jenseits der Monarchen schwebt, beginnt der Abend: Das 19. Jahrhundert gibt seinen letzten Stoßseufzer von sich – schon stürzen Zar und Töchterchen in die Grube. Und weil Kuttner, Kühnel und Wächter die Totalitarismustheorie von Hannah Arendt kennen, widmen sie auch dem berühmten Nichtangriffspakt der Herren Hitler und Stalin eine böse kleine Szene: Nach Vertragsunterzeichnung dürfen ein kleiner Hitler-Junge und eine wackere sowjetische Komsomolzin gemeinsam ein Lied singen: „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein …“ So lässig wurde die Tocotronic-Hymne samt aufgekratztem Wir-Gefühl noch nie geschändet.

Unvermeidliche Besserwisser-Frage: Darf man das denn? Hitler und Stalin als komische Puppen? Klar darf man das, wenn das so intelligent und bösartig gemacht ist wie hier. Derzeit mit Abstand die charmanteste Party in der kriselnden Volksbühne.

Wieder am 20. und 21. Dezember, 20 Uhr, in der Volksbühne

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