Neues Radio mit Vergangenheit

Die Radiofrequenz 100,6 hat eine bewegte Geschichte. Gerade wurde sie neu vergeben. Die Lizenz zum Senden bekam ein Experiment. Zur Zielgruppe gehören Technologie- und Unterhaltungsfreaks

von Michael Aust

Auf dieser Welle senden wollten viele. Schließlich ist sie eine der reichweitenstärksten und traditionsreichsten im Großraum Berlin. Die Rede ist von UKW 100,6. Bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) hatten sich 30 Anbieter um die frei gewordene Frequenz beworben. Doch alle Großen gingen leer aus. Die Lizenz zum Senden bekam ein Experiment.

Die Frequenz war im September neu ausgeschrieben worden, nachdem der Sender Hundert,6 Insolvenz angemeldet hatte. Die Pleite markiert den vorläufigen Endpunkt einer bewegten Geschichte: vom ersten Privatradio Berlins über den „Betonfunk“ bis zur „Chaos-Insolvenz“.

Klospülung mit 100,6 Gründen

1987 gründete der Filmemacher Ulrich Schamoni Hundert,6 als erstes privates Berlin-Radio. Chefredakteur wurde Georg Gafron, der aus dem Sender ein wortlastiges Gegengewicht zum – seiner Meinung nach – linken öffentlichen Rundfunk machen wollte. Es wurde ein Dudelradio mit Frontstadt-Überbau.

Anfangs musste sich Gafron die Frequenz mit dem Alternativsender Radio100 teilen. Pünktlich um 19 Uhr verabschiedete sich Gafrons Funk mit der Nationalhymne, ebenso pünktlich antwortete Radio100 mit einer Klospülung. An der Kette zog damals als Radio100-Chef Thomas Thimme, früher Medienreferent bei den Grünen.

„Mir fallen mindestens 100,6 gute Gründe für diesen Sender ein“, kalauerte Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen 1992 zum fünfjährigen Jubiläum des Senders. Allerdings mussten Gafrons Gesellschafter 1997 an den Medienunternehmer Thomas Kirch verkaufen. Der ehemalige Marktführer verlor immer mehr Hörer. Im April 2002 übernahm dann Thomas Thimme den Sender. Nachdem er 1991 mit Radio100 Konkurs angemeldet hatte, arbeitete er später für den französischen Radiokonzern NRJ.

Radio-Posse

Am 18. April 2005 ereignete sich etwas, was als Berliner Radio-Posse bekannt wurde: Als die Mitarbeiter von Thimmes „Superradio Hundert,6“ ihr Studio an der Katharina-Heinroth-Straße betraten, konnte sich keiner mit seinem Passwort einloggen. Auch der Moderator der „Morning-Show2 fehlte, obwohl seine Stimme aus dem Radio zu hören war. Was war los?

Thimme hatte Insolvenz angemeldet, ohne die Redakteure vorher zu informieren. Zuletzt hatten nur noch 35.000 Menschen eingeschaltet, und – so heißt es – die Exleibwächter von Gafron standen noch auf der Gehaltsliste. Am Vorabend hatte Thimme das Studio mal eben in die Potsdamer Straße verlegt und von dort mit einigen Auserwählten ein Notprogramm gesendet. Er versuchte, die Frequenz auf seinen zweiten Sender, PowerRadio, überschreiben zu lassen.

Doch die MABB gab die freigewordene Frequenz nicht Thimme, sondern an ein Experiment: Nun soll die Netzeitung gemeinsam mit Motor FM, einem Projekt von Ex-Universal-Chef Tim Renner, Radio machen. Abgewiesen wurden Anbieter wie Helmut Markwort und Christiane zu Salm-Salm. Letztere wollte aus 100,6 ein Quizradio machen.

„Innovative Ansätze“

Netzeitung und Motor FM hatten sich unabhängig voneinander beworben. „Wir stehen für Musik und Kultur, die Netzeitung für Wirtschaft und Gesellschaft“, sagt Markus Kühn, Geschäftsführer von Motor FM. Sein Partner Michael Maier, Chefredakteur der Netzeitung, legt seinen Schwerpunkt auf das Internet und will sich Technologiethemen zuwenden. Ein Baustein soll das „Podcasting“ sein, das Veröffentlichen von Audiodateien über das Internet. Man wolle etwa Universitäten Ausrüstungen zur Verfügung stellen, damit diese selbst Beiträge produzieren, die im Radio gesendet und bei der Netzeitung heruntergeladen werden könnten. Maier peilt mit dem neuen Sender die „Berliner Online-Community in der Technologie-Branche und im Entertainment-Bereich“ an. Auf 500.000 Personen schätzt er diese Zielgruppe.

Bis 10. Januar haben die beiden Anbieter Zeit, dem Medienrat ein Konzept vorzulegen. Dann rollt die Welle weiter.