Reißverschlusssache

Der Hamburger SV ringt den Bremern ein schmeichelhaftes 1:1-Unentschieden ab und geht als designierter Verfolger von Bayern München in die Winterpause der Bundesliga

BREMEN taz ■ „Invasion, schwarz-weiß-blaue Invasion“, gurgelt ein heiser geschriener junger Mann am Straßenrand seinen Traum aus sich heraus. Es ist 16 Uhr am Sonntagnachmittag in Bremen. Das Fußballspiel, zu dem er angereist ist, wird der Anhänger des Hamburger Sportvereins nicht mehr erleben, jedenfalls nicht mehr bewusst. So jenseitig breit, wie er ist, wäre „Infusion“ das bessere Wort. Wer aber wollte ihm das sagen?

Kollegen hat der Vertreter der Hamburger Intelligenzija reichlich mitgebracht. „Von der Elbe bis zur Isar, immer wieder Ha Es Vau“, röchelt es aus einem Mittzwanziger heraus, der gleichzeitig versucht, den Reißverschluss seiner Hose zuzumachen. Seine Bemühungen sind stark von Vergeblichkeit umweht, und es ist auch ein bisschen etwas daneben gegangen, als er wie hunderte seinesgleichen die matschigen Bremer Restrabatten mit Herrenharn düngte.

Im ausverkauften Weserstadion wird der Bremer Tim Borowski als Spieler des Monats November geehrt; mitspielen kann er ebenso wenig wie der Hamburger Rafael van der Vaart; beide sind verletzt. Das Spiel beginnt auch ohne die beiden Klasseleute sehr gut, Bremen greift entschlossen an, hat in den ersten zwanzig Minuten einige ernsthafte Chancen, erzwingt Ecke um Ecke, der HSV weiß sich oft nur mit Fouls zu wehren und hat Glück, als Torhüter Kirschstein einen Ball noch so eben an den Pfosten lenken und einen anderen erst im Nachfassen halten kann. In der 38. Minute aber pariert er einen Elfmeter: Johan Micoud läuft an, schießt sehr mittig, Kirschstein wehrt ab, der Ball prallt auf die Latte und geht ins Aus.

Sechs Minuten später macht Micoud seine Sache besser: Sein Freistoß vom linken Strafraumrand klatscht gegen den rechten oberen Innenpfosten und von da ins Tor. 1:0 direkt vor der Halbzeitpause, perfektes Timing. Nur das Ergebnis ist mau für Bremen und sehr schmeichelhaft für Hamburg, 2:0 oder 3:0 wäre gut möglich gewesen, gespielt wurde quasi nur auf ein Tor. In der zweiten Hälfte sieht das anders aus, das Spiel wird spannender, weil Hamburg gefährlicher wird, selbst angreift und schnell kontert – aber Reinke ist ein sicherer Bremer Keeper.

In der 65. Minute wechselt HSV-Trainer Doll seinen Mittelfeldmann Trochowski und den völlig von der Rolle spielenden Stürmer Lauth gegen die Angreifer Takahara und Kucukovic aus. Die beiden Neuen schlagen sofort zu: In der 67. Minute legt Takahara für Kucokovic auf, 1:1, ein Abseitstor zwar, aber Schiedsrichter Meier erkennt es an.

Überhaupt, der Schiedsrichter. Von Anfang an unsicher, verteilt er in der zweiten Halbzeit gelbe Karten am Fließband – ein vergeblicher Versuch, seine Autorität wiederherzustellen. An ihm entlädt sich der Unmut der Hamburger Anhänger am lautesten – wenn nicht gerade Bremer Spieler Objekt ihrer Verbalattacken werden.

Als Patrick Owomoyela den Hamburger Atouba foult, schreit ein HSV-Fan: „Lass das, du Presskohle!“ Da beide beteiligten Spieler Schwarze sind, entbehrt die dreckige Bemerkung nicht der Selbstentlarvungskraft: Welcher Schwarze eine „Presskohle“ und welcher ein guter Schwarzer ist, bestimmt in Deutschland traditionell der fahle Deutsche.

In den letzten zehn Minuten ist die Puste aus den Spiel, Wicky prüft noch einmal Reinke, dann ist es aus. Die Hamburger feiern das Unentschieden, das ihnen ermöglicht, auf dem zweiten Tabellenplatz zu überwintern, sechs Punkte hinter den Bayern und zwei vor Werder Bremen. Auch das inferiore Gerede von der „Nummer eins im Norden“ ist wieder und wieder zu hören: Wenn man schon nicht richtig Erster sein darf, dann wenigsten auf regionaler Ebene. Das ist dann eher arm.

Die erste Saisonhälfte ist zugeklappt, das Glück ist, klaro, mit den Bayern, die mit ihren eigenen Mitteln nicht zu schlagen sind. Die Mannschaft, deren Trainer eine andere IDEE von Fußball hat, heißt in diesem Jahr wieder einmal Werder Bremen, und deshalb wünsche ich mir für das schon jetzt in aller Beckenbauer’schen Abscheulichkeit herandrohende Fußballjahr 2006, dass der lässige, zurückhaltende Thomas Schaaf den tomatenroten Hoeneßbayern die Meisterschale stibitzt. WIGLAF DROSTE